Prof. Dr. Valentin Merkelbach

Neue Strukturmodelle in den Ländern und die Chancen für eine andere Lernkultur

Mai 2007

Während es den politisch Verantwortlichen in und außerhalb der KMK nach PISA 2000 noch einigermaßen gelang, die Frage nach dem Anteil des hierarchisch gegliederten Systems an der Leistungsschwäche der deutschen Schule zu tabuisieren, war dies nach den wiederum enttäuschenden Ergebnissen von PISA 2003 nicht mehr möglich. Insbesondere die Ländervergleichsstudie von 2003 lenkte die Aufmerksamkeit auf die zweigliedrigen Systeme der drei ostdeutschen Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, die seit PISA 2000 deutliche Fortschritte gemacht haben, was den Abbau der sozialen Auslese und den Anteil an "Risikoschüler/innen" betrifft. Plötzlich richtete sich der Fokus der Öffentlichkeit nicht mehr nur auf die bis dahin so selbstbewussten Süd-Länder und es stellt sich die Frage, ob nicht der Grad der Gliederung Auswirkungen hat auf die Ergebnisse im unteren Leistungsbereich. Nicht Bayern und Baden-Württemberg mit ihrem traditionell dreigliedrigen System haben sich von der Frage schon irritieren lassen, wohl aber jene Länder, die unter sozialdemokratischen Regierungen mit der Einführung der Gesamtschule als weiterer Regelschule viergliedrig geworden sind, was zur Folge hatte, dass in diesen Ländern die Hauptschule rasch an Akzeptanz einbüßte und in Großstädten immer mehr zur Restschule wurde.

Von den inzwischen CDU-regierten Ländern mit einem hohen Anteil an Gesamtschulen stellte Hamburg als erstes die Frage, ob nicht eine Reduktion der Schulformen, ähnlich wie in den drei ostdeutschen Ländern, die Leistungsfähigkeit des Systems insgesamt steigern könnte. Diese Überlegung führte zu einem Schulplan der in der Stadt allein regierenden CDU, in dem es neben dem Gymnasium nur noch eine Schulform, die Stadtteilschule, geben soll. Die andern CDU-regierten Länder mit akuten Hauptschulproblemen versuchen vorerst noch mit neuen Förderprogrammen die Hauptschule zu retten.

Könnte, wenn diese Notprogramme nicht greifen und die Hauptschulabgänger, auch die mit einem Abschluss, immer weniger Chancen auf einen Ausbildungsplatz haben, das zweigliedrige Hamburger Modell doch auch für andere CDU-regierte Länder akzeptabel sein, zumal das Gymnasium darin weitgehend unangetastet bleibt und die Stadtteilschule eine durchaus intelligente Weiterentwicklung des zweigliedrigen Systems der ostdeutschen Länder darstellt? Die entscheidende Frage dürfte sein, ob mit diesem Modell der selektive Charakter des deutschen Schulsystems, der in hohem Maße ein sozial selektiver ist, verringert werden kann und das System insgesamt, was qualitative Abschlüsse betrifft, leistungsfähiger wird. Welche Rahmenbedingungen müssen gesetzt sein, damit dieses Hamburger Modell oder jede andere Systemvariante das leistet, was der gemeinsame Wunsch und Wille aller bildungspolitischen Fraktionen ist: die Förderung aller Kinder nach ihren individuellen Anlagen und Möglichkeiten.

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Die Reformblockade im selektiven System

Warum unsere Schulen bei allem Engagement von Lehrerinnen und Lehrern sich so schwer tun, Kindern mit unterschiedlichen Voraussetzungen in ihrem Lernen kontinuierlich zu fördern und dabei ihre Neugier und Lernfreude zu erhalten, ist das besondere Thema derjenigen aus Erziehungswissenschaft und Fachdidaktik, die sich mit Leistungsmessung und –bewertung beschäftigen und über Alternativen zum traditionellen Notensystem nachdenken (Merkelbach 2005). In einem Beitrag mit dem Titel "Mit Leistungslernen zum Erfolg und Misserfolg – von der Selbstachtung bis zur Schulangst" widmet sich Uwe Findeisen dem Thema aus einer etwas anderen Perspektive (Findeisen 2007). Der ehemalige Lehrer, der inzwischen als Kinder- und Jugendpsychotherapeut arbeitet, hat sich besonders mit Lernstörungen und dem Zusammenhang von Jugendgewalt und schulischem Leistungssystem beschäftigt.

In dem Beitrag interessiert ihn die Frage, warum Lernen in der Schule ständig Erfolg und Misserfolg produziert; welcher Verteilungsmechanismus dafür sorgt, "dass Jahr für Jahr eine annähernd gleiche Verteilung eines ganzen Jahrgangs stattfindet" und warum "Erfolge und Misserfolge beim Lernen zu psychischen Reaktionen" führen, "die Stolz, Angeberei und Schadenfreude sowie Verachtung gegenüber den anderen ebenso wie Selbstabwertung, Schulangst oder gewaltsame Selbstbeweise zum Ausdruck bringen". Findeisens These: Es liegt nicht am Wissen, das man nicht verstehen kann, sondern an der Zeit, in der Lernen in der Schule zu geschehen hat. Zeit aber, in der man sich Wissen aneignet, das für das Lernen benötigt wird, hat "mit dem Wissen keinen inhaltlichen Zusammenhang".

Die Lernzeit ist eine Bedingung, die benötigt wird, so wie andere äußere Bedingungen auch. Zeit ist kein inneres Maß von Wissen. Oft braucht man mehr Zeit, wenn man am Anfang eines zu lernenden Inhalts steht, als zu einem späteren Zeitpunkt, wenn man schon viele Wissensteile kennt. Dann wird dieser Inhalt schneller gelernt. Aber grundsätzlich gibt es am Wissen kein Moment, das es falsch macht oder in Frage stellt, wenn es nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt verstanden ist. Lernen braucht also Lernzeit, aber keinen Lerndruck, der dadurch entsteht, dass vor dem Prozess des Verstehens die Lernzeit festgelegt wird. Dieses Zeitmaß gehört nicht zum Wissen. (S.3)

Werde Wissensvermittlung an eine Durchschnittszeit gebunden, so habe das Rückwirkungen auf den Inhalt selbst. Das Wissen werde in eine "Pensum" verwandelt und schulische Lernprozesse für Millionen von Kindern so eingerichtet, "dass nicht jedem einzelnen Kind beim Lernen entsprechend seinen individuellen Voraussetzungen geholfen wird", sondern an den vorgegebenen Zeitgrenzen werden die Schüler/innen gemessen und in jeweils "gute bis schlechte Lerner sortiert" (S.3 f.). Das müsse bereits die Grundschule leisten, damit man an deren Ende für die drei Schulformen drei Gruppen erhält, "an denen man sofort sieht, bei welchen man in der Wissensvermittlung weniger Ansprüche stellt und bei welchen mehr". Diese Sortierung legitimiert sich "als Resultat der individuellen Leistung, die durch die Gleichbehandlung ...zur Herstellung der Ungleichheit benutzt" werde (S.4 f.).

Das schlichte Instrument dieses Sortierungszwangs ist das deutsche Notensystem, das in jeder Klassenarbeit so funktioniert, dass immer ein Teil der Lerngruppe an den Anforderungen scheitert. Eine Änderung, die den Lerndruck und die Noten abschafft, ist für Findeisen nicht in Sicht und daher bleiben für ihn "Experimentalschulen" die Ausnahme und die Schulpolitik anderer Länder werde nicht unter dem Gesichtspunkt der individuellen Förderung, sondern unter dem des nationalen Nutzens und der Elitebildung begutachtet. Im Notensystem gehe es "um den Vergleich von guten und schlechten Schülern und somit um eine Art von Lernziel, das mit dem Wissen nur bedingt, eben nur noch als Mittel dafür zu tun" habe.

Es ist das Lernziel: Welches Niveau der Anerkennung schaffe ich, d.h. welche Note erhalte ich? Die Kinder unterhalten sich z.B. nicht über ihr Wissen oder helfen anderen im Vorankommen, sondern entwickeln einen vergleichenden Umgang: Welche Note hast du? Wo stehe ich im Vergleich? Für sie zählt die Schulnote als das, was sie wirklich ist, eben nicht als Urteil über gelerntes Wissen – das lässt sich nie in einer quantitativen Note zusammenfassen -, sondern gewissermaßen als ein Orden, eine Urkunde, eine Anerkennung für die erbrachte Leistung. (S.6)

Das Notensystem sorgt selbst dafür, dass sich das inhaltliche Lerninteresse zu einem taktischen Lerninteresse verändert. Für Kinder geht es daher konsequenterweise um die Kalkulation mit den Noten. Damit lernen sie, ohne dass dies ein eigener Unterrichtsinhalt ist, dass es in der Schule auf die Anerkennung ankommt und dass das Wissen dafür benutzt wird. Das System hat mit den Noten eine Nutzenfrage an das Wissen installiert: Ist das, was der Lehrer gerade mitteilt, für die Klassenarbeit, also für die Note von Belang? (S.7)

Betroffen sind von dieser Umorientierung des Lerninteresses für Findeisen alle: die mit dieser Taktik Erfolgreichen, mehr aber die, die mit dem Nutzengesichtspunkt nicht zum Erfolg kommen, die sich ständig vor schlechten Arbeiten fürchten, sitzen bleiben oder die Schule verlassen müssen und die dadurch an den Punkt gelangen können, "sich selbst die Anerkennung abzusprechen, weil sie ihnen durch die schlechten Noten genommen wurde". Sie suchten dann Erklärungen für ihren Misserfolg und fänden Erklärungsmuster, die sie zwar entschuldigen, zugleich aber lernhemmende Wirkungen haben, da sie das Lerninteresse reduzieren. Z.B.:

  • Der Lernstoff sei zu schwierig, man könne ihn nicht verstehen.
  • Der Lehrer habe einen nicht motiviert, der Unterricht sei langweilig.
  • Man habe keine Lust, diesen sinnlosen Inhalt zu lernen.
  • Man könne das nicht verstehen, weil man dumm sei. (S.7 f.)

Die letzte "Entschuldigung" führe dann zum Selbstzweifel. Kinder, die so denken, sähen "keinen Grund mehr, sich Mühe zu geben" und versetzten "sich in eine emotionale Stimmung der ständigen Überforderung, die sich zu einem Gefühl der Angst vor der Schule insgesamt verfestigen" könne. Ein Ausweg aus dieser Situation könne dann die Suche nach Anerkennung durch andere Inhalte sein, "die man selbst wählt und mit denen man bei den anderen Eindruck erzeugen will"; das seien "die vorhandenen Trends in Mode, Musik und Lebensstil, Tätigkeiten, die ‚in’ und nicht ‚out’ sind, also alles, was der Selbstdarstellung dienen kann". Wo die Selbstdarsteller sich nicht vom Geschmack der andern abhängig machen wollen, sorgten "sie für ihre eigene Selbstbehauptung" und wendeten "sich – bis hin zur brutalen Gewaltanwendung – Aktivitäten zu, bei denen sie ihre Selbstwirksamkeit beweisen" (S.8; vgl. dazu auch: Findeinsen 2004).

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Da Findeisen an eine Änderung dieses Systems der Leistungsmessung und –bewertung nicht glaubt, fällt sein Fazit entsprechend düster aus. Zwar leisteten Therapeutinnen und Therapeuten wie Lehrerinnen und Lehrer mit ihrer praktischen Arbeit "ein Unmenge individueller Hilfen" und verhinderten "an vielen Stellen weitere Lern-Verschlechterungen oder psychosoziale Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen", stießen aber bei ihren "Angeboten zu Hilfe und Förderung" "an die Grenzen, die das Leistungsprinzip setzt".

Der Leistungsvergleich des Nachwuchses ist der allgemeine Grund dafür, dass jedes Jahr Kinder und Jugendliche, angetrieben durch den Willen zur Anerkennung, zu so genannten Problemfällen werden. Die therapeutischen und pädagogischen Berufe geraten daher bei ihrer Einzelfallbetreuung immer wieder in die "Zwickmühlen" von Leistung und Leistungsprinzip, von Erfolg und Misserfolg, von ideeller Selbstachtung und Selbstverurteilung. Man sollt sich also zumindest darüber im Klaren sein, dass man auf diese Weise zur Sisyphusarbeit verurteilt ist. (S.13)

Uwe Findeisens Analyse des Systems schulischer Leistungsmessung teile ich vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen als Deutschlehrer und Fachdidaktiker, - z.B. im Arbeitsschwerpunkt "Schreiben", wo das Notensystem bekanntlich eine besonders fatale Rolle spielt (Merkelbach 2005). Was ich nicht teile, ist seine pessimistische Einschätzung, eine Änderung, die den Lerndruck und die Noten gar abschafft, sei in Deutschland nicht in Sicht oder bleibe auf "Experimentalschulen" beschränkt. Unter diesem Aspekt sollen neue Strukturmodelle in drei Bundesländern untersucht werden, ob sie Rahmenbedingungen schaffen, die den Lerndruck verringern und den Spielraum für individuelle Förderung erweitern können oder ob weiterhin engagierte Lehrerinnen und Lehrer zur "Sisyphusarbeit" verurteilt sind.

Der Schulkompromiss zwischen CDU und SPD in Schleswig-Holstein

Schleswig-Holstein ist lange ein konservativ regiertes Bundesland gewesen, was sich schulpolitisch unter den SPD-Regierungen danach nicht wesentlich geändert hat. So beträgt der Schüleranteil an Integrierten Gesamtschulen noch in der Ländervergleichstudie PISA 2003 gerade einmal 6,5 Prozent, in Hamburg sind es 25,4 Prozent, während der Schüleranteil an Hauptschulen mit 29,3 Prozent fast noch bayrische Ausmaße hat (32,2 Prozent). Die PISA-Debatte hat dann den den traditionell eher linken SPD-Landesverband schulpolitisch wachgerüttelt. Dabei mögen auch die gutnachbarlichen Beziehungen zu den skandinavischen PISA-Siegerländern eine Rolle gespielt haben und eine dänische Minderheit im Land, die lange vor PISA mit dem dänischen Schulsystem, der Folkeskole, sympathisierte, in die alle Kinder gemeinsam bis zum Ende von Klasse 9 gehen.

Nachdem auch in Schleswig-Holstein die Gesamtschule Regelschule wurde, begann mit der ersten IGS in Eckernförde 1995 der Strukturwandel in den deutsch-dänischen Schulen, der durch PISA 2000 beschleunigt wurde. Inzwischen ist die Mehrheit der dänischen Minderheit für die Integrierte Gesamtschule, auch wenn die Kieler Schulbehörde auf dem KMK-Beschluss besteht, dass deutsche Gesamtschulen, in Unterschied zur dänischen Folkeskole, ab Klasse 7 in mehreren Fächern nach Leistung sortieren müssen und die Kinder in Grund- und Erweiterungskurse separiert werden.

Das war die Situation, als die schleswig-holsteinische SPD 2004 sich entschloss, mit dem Konzept der "Gemeinschaftsschule" in den Landtagswahlkampf zu gehen. Dieses neue Konzept, nach dem alle Schulen der Sekundarstufe I in einem Zeitrahmen von plus/minus zehn Jahren zur Auflage gemacht werden sollte, sich in integrierte Systeme umzuwandeln, basierte auf einem Gutachten von Ernst Rösner vom Dortmunder Institut für Schulentwicklungsforschung (Rösner 2004). Mit diesem Beschluss brach ein SPD-Landesverband im Einvernehmen mit der SPD-geführten Landesregierung das bis dahin von der KMK hartnäckig verteidigte Tabu der Strukturfrage.

Ernst Rösners Gutachten basiert auf harten Fakten demografischer Veränderungen: einem absehbaren Rückgang der Schülerzahlen, der unter den Bedingungen des bestehenden Schulsystems zu Standortgefährdungen und Schulschließungen führen wird. Es müsse darum "die Frage zulässig sein, ob es strukturell Alternativen gibt, die zu mehr Standortsicherheit führen und gleichzeitig mehr Optionen für Förderung und Leistungsentwicklung der Schülerinnen und Schüler beinhalten". "Auch wenn bei PISA der Leistungsvorsprung von Ländern mit integrierten Systemen gegenüber Deutschland mit seinem vorherrschenden dreigliedrigen System keine kausale Beweisführung zur Überlegenheit integrierter Systeme" erlaube, so sei "die Vermutung wohl fundiert, dass in einem Set inhaltlicher und organisatorischer Veränderungen des Schulsystems die Ursachen variierender Leistungsstärken zu suchen sind". In strukturellen Reformen allerdings "allein die Lösung des Leistungsproblems des deutschen Schulwesens zu suchen", erscheine "hingegen ebenso wenig weiterführend wie eine Begrenzung von Reformen auf Lerninhalte, Diagnostik und Evaluationen". (S.5)

Ziel des Plans ist "die Bereitstellung einer gemeinsamen Schule für alle Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I", so dass "der Übergang von der Grundschule zunehmend in Bildungseinrichtungen erfolgt, die alle Schülerinnen und Schüler aufnehmen und in diesem Sinne als ‚vollständige Angebote’ zu bezeichnen" seien. Vollständigkeit repräsentierten "per definitionem integrierte Systeme ebenso wie schulrechtliche Einheiten aus den drei Bildungsgängen des gegliederten Schulsystems". Als "Gemeinschaftsschulen" sollen dann alle Schulen bezeichnet werden, die alle Grundschulabgänger aufnehmen und zu allen Abschlüssen der Sekundarstufe I führen. Die schulrechtlichen Einheiten, die auch Gemeinschaftsschulen heißen sollen, seien "allerdings keine bloße Addition bislang unverbundener Bildungsgänge, sondern vielmehr ein Rahmen für eine veränderte pädagogische Praxis". Sie könne beginnen "mit einer intensiven Zusammenarbeit der parallelen Bildungsgänge", lasse aber auch Raum für schulformübergreifende Lerngruppen" und gebe "Gelegenheit, in Anlehnung an die erfolgreichen Modelle der regionalen Schulen (Rheinland-Pfalz) und der Regelschulen (Thüringen) eine Differenzierung nach Bildungsgängen hinauszuschieben oder gänzlich aufzugeben". "Einerseits soll es Sache der Schulen und ihrer Träger sein, über die Binnenorganisation der Gemeinschaftsschule zu befinden", andererseits sei es "Aufgabe der Schulaufsicht, durch Beratung, Fortbildung und Anreize den Anteil des Unterrichts in leistungsgemischten Lerngruppen auszuweiten". Dabei werde "dem Gedanken der prozesshaften Entwicklung anstelle einer vermutlich realitätsfernen abrupten Umstrukturierung gefolgt", was jedoch "eine konsequente und kontinuierliche Annäherung an das Leitziel einer gemeinsamen Schule für alle Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I" bedeute. (S.6 f.)

Auch wenn die Gemeinschaftsschule, so Rösners Fazit, "nicht binnen kurzer Zeit zu einem ersetzenden Regelangebot ausgebaut werden kann", so sei es doch notwendig, "politisch unmissverständlich deutlich zu machen, in welche Richtung die Entwicklung des Schulwesens in Schleswig-Holstein gehen soll"; denn "klare Zielvorgaben erleichtern Entscheidungen der Schulen und Schulträger, gleichzeitig verhindern sie Fehlinvestitionen". (S.11).

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Ernst Rösners moderater Strukturplan, der sich in wesentlichen Punkten im Parteitagsbeschluss der SPD wiederfindet, konnte nicht verhindern, dass ihn die CDU im Wahlkampf als "Einheitsschule" bekämpfte, was ja immer noch mit dem Attribut "sozialistisch" assoziiert werden soll. Sie hatte zwar mit ihrer Kampagne nicht die Wahl entschieden, wohl aber kam aus ganz andern als bildungspolitischen Gründen statt einer Koalition aus SPD, Grünen und Schleswigschem Wählerverband der dänischen Minderheit eine Große Koalition zustande, in der ganz neu über Schulstrukturprobleme des Landes beraten werden musste. Dabei erwies sich als günstig, dass die Kultusministerin der alten Regierung, Ute Erdsiek-Rave, weiterhin im Amt blieb.

Nach langen, kontroversen Verhandlungen hat die Große Koalition in einer Novellierung des Schulgesetzes, die am 9.Februar 2007 in Kraft trat, sich auf einen Schulkompromiss geeinigt, mit folgenden Eckpunkten:

  • Statt der bestehenden eigenständigen Haupt- und Realschulen soll es ab dem Schuljahr 2010/11 nur noch eine "Regionalschule" geben, die die beiden Bildungsgänge vereint, mit einer gemeinsamen Orientierungsstufe in 5/6. Danach geht es getrennt in Haupt- und Realschulklassen bis 9 bzw. 10 weiter.
  • Daneben wird es auf Antrag des Schulträgers Gemeinschaftsschulen geben, in denen Schüler/innen bis Ende 10 gemeinsam unterrichtet werden, den Haupt- und Realschulabschluss erwerben können und den Übergang auf die gymnasiale Oberstufe erreichen. Abitur dann nach Klasse 13.
  • Bis zum Schuljahr 2010/11 sollen alle Gesamtschulen in Gemeinschaftsschulen weiterentwickelt werden.
  • Auch alle anderen Schulen, das Gymnasium eingeschlossen, können, wenn Schulträger dies genehmigen, allein oder mit anderen Schulen zusammen, Gemeinschaftsschulen werden.
  • (www.spd.ltsh.de)

In dem Kompromiss zwischen CDU und SPD haben beide Parteien Federn lassen müssen. Die SPD akzeptiert, dass das Gymnasium auch in den Klassen 5 bis 9 bestehen bleibt und sich nicht in einem bestimmten Zeitrahmen zu einer Gemeinschaftsschule weiterentwickeln muss. Die CDU akzeptiert die bislang bekämpfte Gemeinschaftsschule, die offensichtlich ein attraktives Angebot für Schulträger ist, die trotz rückläufiger Schülerzahlen eine Schule mit allen Abschlüssen, auch dem Abitur, möglichst wohnortnah halten wollen.

Dass es neben der Gemeinschaftsschule die Regionalschule geben soll, ist ein Zugeständnis der SPD an die CDU, die ihrerseits nun auch auf die eigenständige Hauptschule, die trotz schwindender Akzeptanz in CDU-regierten Ländern hartnäckig verteidigt wird, verzichtet. Das bedeutet für die bislang in Hauptschulen überwiesenen bzw. abgestuften Schüler/innen ein anregungsreicheres Lernmilieu in 5/6 und für die einzelne Schule die Möglichkeit, auch vom 7.Schuljahr an schulformübergreifende Lerngruppen zu bilden. Auch die Regionalschule kann gewiss, wenn Schule, Schulträger und Eltern dies wollen, integriertes Lernen über die 6.Klasse hinaus durchsetzen oder bei einer Mindestgröße von 300 Schüler/innen und einem entsprechenden pädagogischen Konzept sich zu einer Gemeinschaftsschule weiterentwickeln.

Während die Regionalschule mittelfristig vor allem das Problem eigenständiger Hauptschulen entschärft, können neue Gemeinschaftsschulen über die bestehenden Integrierten Gesamtschulen hinaus entstehen und die in den letzten Jahren verstärkte Nachfrage nach Gesamtschulplätzen befriedigen. So hatten z.B. für das Schuljahr 2004/05 die Gesamtschulen Schleswig-Holsteins 5585 Anmeldungen, aber nur 2929 Plätze. (www.gesamtschule-hamburg.de/sh.htm).

Unter den zahlreichen Initiativen zur Gründung von Gemeinschaftsschulen ist die auf Fehmarn am weitesten gediehen. Auf der Insel mit 13000 Einwohnern gibt es vier Grundschulen, eine Haupt- und Realschule, ein Gymnasium und eine Sonderschule. Von diesen Schulen ist besonders das Gymnasium in seinem Bestand gefährdet. Die Idee einer Gemeinschaftsschule unter Einschluss des Gymnasiums, um das volle Bildungsangebot auf der Insel zu sichern, stieß zunächst auf massiven Widerstand einer Gruppe von Eltern. Die große Mehrheit der Eltern wollte allerdings mit der Gemeinschaftsschule auch das Abitur auf der Insel sichern und so wird bereits zum Schuljahr 2007/08 die erste Gemeinschaftsschule mit einem 5.Schuljahr ihre Arbeit aufnehmen. Es soll eine erste Schule für alle werden, die auch Kinder mit besonderem Förderbedarf integrieren will, mit einer entsprechenden personellen und materiellen Ausstattung.

Wie ist dieser erste Schulkompromiss der beiden bislang schulpolitisch zerstrittenen Lager in einem der alten Bundesländer pädagogisch einzuschätzen? Die Gemeinschaftsschule, die ja als pädagogisches Konzept dem Gymnasium und der Regionalschule offen steht, wenn das Kollegium einer Schule und der Schulträger dies wollen, wird von den Rahmenbedingungen her eine Schule werden können, die, anders als die Integrierte Gesamtschule, nicht mehr nach dem KMK-Beschluss spätestens ab Klasse 7 das dreigliedrige System abzubilden gezwungen ist. Sie kann zu einer Schule werden, wie wir sie aus den skandinavischen Ländern kennen, aber auch in zahlreichen deutschen Reformschulen, überwiegend Integrierte Gesamtschulen, beobachten können (www.Blick-über-den-Zaun.de).

Diese Schule für alle Kinder wird, will sie ohne die selektiven Instrumente der Nichtversetzung und der Abschulung erfolgreich sein, vor allem die entwickelten Konzepte einer anderen Leistungsmessung und –bewertung adaptieren müssen, um jedes Kind im Rahmen seiner Möglichkeiten fördern und Lernbereitschaft entwickeln und erhalten zu können, - ohne den Leistungsvergleich durch das abstrakte, der Neugier und dem Wissenwollen fremde System der Benotung.

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Die Schulpläne von CDU und SPD in Hamburg

Während die Strukturreform in Schleswig-Holstein schon beschlossene Sache ist, bleibt in Hamburg der Schulplan der mit absoluter Mehrheit regierenden CDU noch ein Diskussionspapier, das den Wahlkampf wohl wesentlich bestimmen dürfte. Nach der Veröffentlichung der zweiten Ländervergleichsstudie PISA 2003 im Jahr 2005 waren die meisten Länderministerien mit den seit PISA 2000 eingeleiteten Maßnahmen zufrieden, nicht so Hamburg. Dort gab die Bildungssenatorin, Alexandra Dinges-Dierig, in einer Pressemeldung vom 3.11.05 angesichts einer "Risikogruppe" im Kompetenzbereich Mathematik von 29,1 Prozent zu bedenken, ob die hohe Zahl von Schulformen in der Sekundarstufe I den Herausforderungen an das Bildungssystem künftig noch gerecht werden kann. Die Stadt hält in der Tat den Spitzenplatz der gegliederten Systeme der Bundesländer. Neben Gymnasium, Haupt-, Real- und Gesamtschule gibt es noch eine Integrierte Haupt- und Realschule. Besonders nachdenklich stimmte die Hamburger Schulbehörde offensichtlich die seit PISA 2000 so erfolgreichen Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, die sich nach der Wende für ein zweigliedriges System entschieden hatten.

Was die Bildungssenatorin zu bedenken gab, hat inzwischen in einem Plan der CDU die Gestalt eines zweigliedrigen Systems angenommen, in dem es neben dem Gymnasium nur noch eine Schulform geben soll, die Stadtteilschule, in der die vier nichtgymnasialen Schulformen aufgehen. Im einzelnen sieht der Plan vor:

  • Am Ende der vierjährigen Grundschule schreiben die Kinder einen Test. Die Lehrer/innen führen mit den Eltern Beratungsgespräche und danach entscheiden die Eltern, ob sie ihr Kind an einer Stadtteilschule oder an einem Gymnasium anmelden.
  • Das Gymnasium führt in acht Jahren zum Abitur. Bis zum Ende der Klase 6 können Schüler/innen zwischen Stadtteilschule und Gymnasium wechseln. Danach entscheidet das Gymnasium, wer bleiben darf und wer gehen muss.
  • Nach Klasse 9 gibt es an beiden Schulformen den ersten und nach der 10.Klasse den Mittleren Abschluss. Die Abschlüsse entsprechen dem Haupt- und dem Realschulabschluss.
  • In der Stadtteilschule können die Schüler/innen nach Klasse 12 die Fachhochschulreife erlangen und nach Klasse 13 das Abitur.
  • Schwache Schüler/innen bleiben in der Stadtteilschule nicht mehr sitzen, sondern werden individuell gefördert. (ZEIT, 18.1.07, S.34)

In einem ZEIT-Interview vom 18.1.07 antwortet der Bildungshistoriker Heinz-Elmar Tenorth auf die Frage, ob sich mit diesem Hamburger Schulplan nicht nach Jahrzehnten des Streits um die Schulstruktur "ein historischer Kompromiss" anbahne:

Das könnte durchaus sein. Ich war sehr angetan, als ich das Papier der Hamburger CDU las. Es ist bei Weitem das intelligenteste Konzept, das mir seit langem zu diesem in Deutschland so quälenden Thema begegnet ist.

In der Tat: Der Hamburger Schulplan ist als Antwort einer CDU-Regierung auf die nicht erst seit PISA bekannt gewordene Leistungsschwäche und die soziale Selektion unseres vielfältig gegliederten Systems ein respektables Dokument, besonders im Vergleich mit Reaktionen anderer, ehemals SPD-regierter Länder wie Hessen und NRW, mit einem hohen Anteil an Gesamtschulen und den dadurch eskalierenden Problemen an eigenständigen Hauptschulen. Die Stadtteilschule neben dem Gymnasium ist, da sie alle Abschlüsse, einschließlich Fachhochschulreife und Abitur, nicht nur offen hält, sondern selbst anbietet und dabei schwache Schüler/innen nicht mehr sitzen lassen, sondern individuell fördern soll, mehr als die alte Volksschule, in der sich lange Zeit ja auch alle versammelten, die für das Gymnasium nicht geeignet erschienen. Das große Handicap dieser integriert arbeitenden Schule ist allerdings, dass sie keine Schule für alle ist, dass sie mit der frühen Auslese nach Klasse 4 leben muss, bei der die Leistungsstarken aus überwiegend bildungsorientierten Elternhäusern wohl weiterhin auf die "höhere Schule" gehen und dadurch das Anregungsniveau der Lerngruppen an Stadtteilschulen entsprechend gesenkt wird. Das Gymnasium behält außerdem das "Privileg", am Ende des 6.Schuljahres sich von die lernschwächeren Schüler/innen zu trennen, die dann in die Stadtteilschule gehen, für die zur "Entlastung" dann noch die Sonderschule bleibt.

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Die Frage war nun, wie die Opposition in der Bürgerschaft auf dieses für Heinz-Elmar Tenorth so intelligente Konzept als Schulprogramm für den Wahlkampf 2008 regieren wird. Während die Hamburger Grünen (GAL) wie schon bei der Wahl 2004 eine neunjährige "Grundschule" nach skandinavischem Muster fordern, die das gegliederte System, das Gymnasium bis Ende von Klasse 9 eingeschlossen, ersetzt, hat die Hamburger SPD auf einem bildungspolitischen Parteitag am 2.12.06 eine Strukturreform des Hamburger Schulwesens mit folgenden Eckpunkten für die Sekundarstufe I beschlossen:

  • Die Abschaffung der Hauptschulen und der Zusammenschluss von Haupt- und Realschulen zu integrierten Haupt- und Realschulen ist ein erster Schritt.
  • Weitere Schritte müssen folgen. Diese entstehen, in dem sich Schulen verschiedener Schulformen – Integrierte Haupt- und Realschulen, Gesamtschulen, Gymnasien – im jeweiligen Schulbereich zu Stadtteilschulen zusammenschließen.
  • Stadtteilschulen sind als Ganztagsschulen zu führen.
  • Stadtteilschule, Gesamtschule und Gymnasium bieten den direkten Weg zum Abitur. Dieser kann 12 oder 13 Jahre dauern.
  • Eine Kooperation von Gymnasien, Gesamtschulen und Stadtteilschulen in der Oberstufe ist anzustreben.
  • "Es kann nicht mehr hingenommen werden, dass sich Schulen einfach von schwächeren Schülern trennen. Hier muss der Gedanke der Teilhabe an Förderung in den Mittelpunkt gestellt werden und nicht der Gedanke von Abschulen. Dies sollte nur im Einvernehmen von Eltern, abgebender und aufnehmender Schule möglich sein. Dies gilt auch für Gymnasien. Sitzenbleiben ist ein oft gewähltes Mittel, sich von schwächeren Schülern zu trennen. Sitzenbleiben wird abgeschafft. Stattdessen erhalten diese Schüler besondere Fördermaßnahmen. Lernstandsberichte geben bessere Auskunft über die Leistungsfähigkeit von Schülern. Diese sind den Eltern zu erläutern."
  • "Schulen in sozial benachteiligten Stadtteilen bedürfen besonderer Förderung: Dort müssen die Schülerzahlen geringer sein, durch zusätzliche Förderprogramme und weitere pädagogische Kompetenzen unterstützt werden."
  • Die Lernmittelfreiheit wird wieder hergestellt.
  • Die formelle Schulaufbahnempfehlung nach der Grundschule wird ersetzt durch "individuelle, qualitative Beratung" für die Eltern und die Schüler/innen.

In den Schulplan der SPD wird auch die Sonderschule einbezogen. Unter sozialdemokratischen Bürgermeistern sei ein Fördersystem entwickelt worden, "in dem behinderte Kinder in Integrationsklassen und integrativen Regelklassen gemeinsam mit nichtbehinderten Kindern lernen". Allerdings werde "die überwiegende Mehrheit der behinderten und vor allem der lernbehinderten Kinder" nach wie vor in die Sonderschule überwiesen, von denen 80% diese dann ohne Abschluss und damit ohne Berufsperspektive" verlassen. Als Fernziel strebt die SPD eine "Inklusion" an, "nach der behinderte und nichtbehinderte Kinder grundsätzlich gemeinsam auf Regelschulen unterrichtet werden". Keinem Kind dürfe mehr "aus Kapazitätsgründen die Aufnahme in eine wohnortnahe Integrationsklasse verwehrt werden, wenn Eltern dies wünschen" und darum würden in allenSchulformen und Klassenstufen" Integrationsklassen "bedarfsgerecht" ausgebaut.
(www.spd-hamburg.de/Bildungsserver)

Gibt es in den Eckpunkten der Schulpläne von CDU und SPD Kompromisschancen? Wo liegen noch gravierende Differenzen? Beide Parteien wollen die eigenständige Hauptschule abschaffen. Beide wollen das Gymnasium auch im Bereich der Sekundarstufe I erhalten und beide wollen eine neue Schulform: die Stadtteilschule.

Im Zwei-Säulen-Modell der CDU ist die Stadtteilschule dann aber das stärker berufsorientierte Kontrastprogramm zum wissenschaftsorientierten Gymnasium und sie wird sich darum spätestens ab Klasse 7 auch curricular vom Gymnasium fortentwickeln, mit einem eigenen Konzept von Allgemeinbildung. Auch wenn diese Stadtteilschule alle Abschlüsse bis zum Abitur anbietet und die Eltern am Ende der Grundschule die Wahl haben, ihr Kind an einer der beiden Schulformen anzumelden, bleibt im CDU-Plan dem Gymnasium das Privileg, nach einer Sortierungsphase in 5/6 sich von Schüler/innen zu trennen, deren Eltern eine "falsche Wahl" getroffen haben. Die Stadtteilschulen, die ohnehin die meisten Schüler/innen aus bildungsfernen Milieus aufzunehmen haben, müssen ab Klasse 7 auch diese vom Gymnasium querversetzten Schüler/innen integrieren. Das wiederum wird Eltern, die eine von "schwierigen Kindern" möglichst unbelastete Schule wollen, in ihrem Bemühen verstärken, das Gymnasium zu favorisieren, auch wenn dies private Investitionen erforderlich macht. Da es die Hauptschule nicht mehr geben wird, bleibt der Stadtteilschule, um die Heterogenität ihrer Lerngruppen zu verringern, nur noch die Sonderschule als "Entlastung".

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Der CDU-Plan löst mit der Stadtteilschule das eskalierende Problem der Hauptschule als "Restschule" und diese neue Schulform bietet für viele Kinder aus bildungsfernen Familien, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, gewiss das anregungsreichere Lernmilieu und damit bessere Chancen, zumindest einen Mittleren Schulabschluss zu erreichen. Der Plan aber verfestigt zugleich das selektive System, indem er das Gymnasium weiterhin als die höherrangige Schule privilegiert und mit dem Verschwinden der ungeliebten Integrierten Gesamtschule jede Perspektive auf eine Schule für alle Kinder verstellt. Insofern scheint die Frage berechtigt, ob der Plan nicht doch vor allem ein intelligenter Versuch ist, das Gymnasium in der Sekundarstufe I vor der Integration in andere Schulformen zu schützen.

Das ist die entscheidende Differenz zum Strukturplan der SPD. Stadtteilschule kann in diesem Plan jede Schule, auch ein Gymnasium in der Sekundarstufe I, werden, ob allein oder zusammen mit anderen Schulen. Sie ist damit zu vergleichen mit dem Konzept der "Gemeinschaftsschule" in Schleswig-Holstein (Fehmarn). Die Stadtteilschule im SPD-Plan ist keine berufsorientierte zweite Säule neben dem wissenschaftsorientierten Gymnasium, sondern das Reformkonzept für eine Schule, in der die Selektion und damit die Hierarchie der Schulformen überwunden werden sollen; die offen ist für alle Kinder, auch für die, die mit ihren verschiedenen Handicaps bislang in Sonderschulen landen, - ein Schulkonzept mit einer anderen Lernkultur, wie sie an der mit dem Deutschen Schulpreis 2007 ausgezeichneten Integrierten Max-Brauer-Schule in Hamburg-Altona bereits erfolgreich praktiziert wird.

Eine Schule mit einem so ambitionierten pädagogischen Programm kann nicht von oben verordnet werden. Sie muss wachsen, aber sie muss wachsen können, indem sie von Anfang an formal gleichrangig ist mit dem Gymnasium. Über Sinn und Zweck berufsorientierter Inhalte des Lehrplans muss dann jede Schule vor Ort selbst entscheiden dürfen. Formale Gleichrangigkeit besteht zum andern darin, dass jede Schule verpflichtet ist, die Schüler/innen, die sie von der Grundschule übernimmt, zu einem möglichst qualifizierten Abschluss zu führen und keine Schule das Recht hat, Schüler/innen mit Lernproblemen in eine andere Schulform der Sekundarstufe I abzuschieben. Das ist die zentrale Forderung im SPD-Plan, noch ehe irgendwo in Hamburg die erste Stadtteilschule entsteht.

Die Pläne von CDU und SPD haben, was ihr pädagogisches Konzept betrifft, wenig gemeinsam, dennoch lohnt die Frage, wie ein Kompromiss aussehen könnte, wenn die beiden Parteien wie in der Großen Koalition in Schleswig-Holstein gezwungen wären, sich in der Schulpolitik zu verständigen oder sich auch ohne diesen Zwang dazu entschließen, um Schulpolitik über Legislaturperioden und Regierungswechsel hinweg verlässlicher und für Schulträger planbarer zu machen. Die SPD könnte das CDU-Konzept der Stadtteilschule akzeptieren als einer integrierten Haupt- und Realschule, wie das ja auch der SPD-Plan als ersten Schritt vorsieht. Im Gegenzug akzeptiert die CDU das SPD-Konzept einer Schule für alle Kinder, die nach schleswig-holsteinischem Vorbild "Gemeinschaftsschule" heißen könnte oder sie behält in Hamburg die bei Eltern attraktiver werdende Bezeichnung "Gesamtschule", befreit von den Fesseln der äußeren Differenzierung ab Klasse 7.

Beim Gymnasium müssten die beiden Parteien eine Antwort finden auf die Frage, ob diese Schulform, wie es der CDU-Plan vorsieht, weiterhin, wenn auch nur bis Ende Klasse 6, Schüler/innen abschieben kann oder ob auch das Gymnasium für die von der Grundschule übernommenen, überwiegend leistungsstärkeren Kinder die volle Verantwortung übernehmen muss und dadurch auch genötigt ist, ein Konzept individueller Förderung zu entwickeln.

Beide politischen Lager müssen wohl auch in Hamburg zur Kenntnis nehmen, dass weder die Abschaffung des Gymnasiums in der Sekundarstufe I als Regierungsbeschluss noch die Abschaffung einer integriert unterrichtenden Schule bis Ende der Klasse 10 den nächsten Regierungswechsel überstehen würde und dass dieser bereits Jahrzehnte dauernde Konflikt letztlich zu Lasten der betroffenen Kinder und ihrer Eltern geht.

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Die Hauptschule stützen oder eine gemeinsame Sekundarstufe I in Hessen?

Nachdem die Frankfurter Rundschau am 2.3.07 mit der Schlagzeile herauskam "Hessen schafft die Hauptschule ab" und sich dabei auf ein Papier aus dem Kultusministerium berief, folgte tags darauf in einem Interview unter der Aufmachung "Wir wollen keine Einheitsschule" der Versuch der Kultusministerin, dem Papier aus ihrem Hause die Brisanz zu nehmen, ohne sich dezidiert davon zu distanzieren. (Frankfurter Rundschau, 3.3.07)

Die zentralen Punkte des Strukturplans für die Sekundarstufe I sind etwa die folgenden:

  • Haupt- und Realschule fusionieren und arbeiten unter dem vorläufigen Titel "Neue Schule" integriert bis Ende 7. Ab Klasse 8 gibt es "abschlussbezogene Klassen", die sich auf den Hauptschulabschluss nach 9 bzw. den Realschulabschluss nach 10 vorbereiten.
  • Die Klassengröße der "Neuen Schule" im "Ganztagsbetrieb" beträgt max. 25 Schüler/innen.
  • Integrierte Gesamtschule und Gymnasium bleiben von den strukturellen Veränderungen unberührt, die Kooperative Gesamtschule verliert ihren gymnasialen Zweig und wird auch "Neue Schule".

Im Interview schickt Karin Wolff, die Ministerin, voraus, es bleibe in Hessen bei den seitherigen Abschlüssen. Sie habe nicht das Bedürfnis, "Kinder, die unterschiedliche Begabungen haben und unterschiedliche Förderwege brauchen, einer Einheitsschule zu unterwerfen". Zum Vorschlag ihrer Schulexperten, die eigenständige Hauptschule in die Realschule zu integrieren und erst am Ende von Klasse 7 Haupt- und Realschulklassen zu bilden, verweist die Ministerin auf die Schwierigkeit, dass inzwischen in Hessen zwar 25 Prozent noch den Hauptschulabschluss machen, aber nur noch 4 Prozent der Kinder von ihren Eltern am Ende der Grundschule direkt an dieser Schulform angemeldet werden. Alle andern werden also im Laufe der Jahre in die Hauptschule abgeschult. Erst ab Klasse 7 gebe es ausreichend Hauptschüler/innen, für die "in eigenen Zweigen" "eine besondere und spezielle Förderung" nötig sei. Für die Hauptschulklassen soll es dann "eine handlungsorientierte Profilierung" geben, geprägt "von den guten Erfahrungen mit den ‚Schub-Klassen’". "Schub" bedeutet "Lernen und arbeiten in Schule und Betrieb". In "Schub"-Klassen finden sich Schüler/innen, die noch einmal ausgelesen werden, weil ihr Hauptschulabschluss in Frage steht und die nur noch drei Tage in die Schule gehen und zwei Tage in einem Betrieb arbeiten.

Auf die Frage, ob sie mit "Einheitsschule" die "Gemeinschaftsschule" meine, wie sie in Schleswig-Holstein unter einem christdemokratischen Ministerpräsidenten umgesetzt werde, antwortet die Ministerin: In Schleswig-Holstein hätten CDU und SPD "einen schwierigen Kompromiss finden müssen"; Hessen setze jedoch "auf vernünftige CDU-Schulpolitik mit Augenmaß und Realitätssinn" und das schließe die "Einheitsschule", wie sie die hessische SPD fordere, aus.

Im angehenden Landtagswahlkampf stehen die Strukturvorschläge der Expertengruppe noch zu sehr im Widerspruch zu den Erfolgsmeldungen des Ministeriums über Maßnahmen zur Stärkung der Hauptschule. Also bleibt das Konzept einer "Neuen Schule" eine langfristige "Perspektivskizze" und erwägen Ministerpräsident und Ministerin gemeinsam, das "Schub"-Konzept nach der Wahl 2008 auf alle Hauptschulklassen auszuweiten und mögliche Kooperationen zwischen Haupt- und Realschule auf die Klassen 5 und 6 zu beschränken. Danach aber, erklärt die Ministerin, komme es darauf an, "für unterschiedliche Fähigkeiten der Schüler auch unterschiedliche Lernwege", sprich Schulformen, bereitzuhalten. Bei der Hauptschule liege dann der Akzent "auf sehr praxisbezogenen Angeboten" und bei der Realschule "auf Sprachelernen, Wirtschaft, Informationstechnologie und Naturwissenschaften" (Frankfurter Rundschau, 24.4.07, S.24)

Mit der Distanzierung von dem Schulplan der ministeriellen Expertengruppe verweigert die alleinregierende hessische CDU für die Zeit des Wahlkampfes noch jegliche Kompromissbereitschaft, wie sie in Schleswig-Holstein bereits zu einer gesetzlichen Vereinbarung geführt hat und in Hamburg mit der "Stadtteilschule" im Schulplan der CDU zu einem Bildungsgang, der sich meilenweit vom bildungsarmen "Schub"-Konzept der hessischen CDU-Regierung entfernt.

Die Opposition im hessischen Landtag weiß jetzt immerhin, woran sie ist und vor allem der bildungspolitische Hauptkontrahent der Regierung, die SPD, kann nun im schulpolitischen Teil ihres Plans "Haus der Bildung" zeigen, was es mit dem stereotypen Vorwurf "Einheitsschule" auf sich hat. In dem Plan-Entwurf heißt es in einer Vorbemerkung zum Abschnitt "Längeres gemeinsames Lernen":

Eine Erkenntnis aus PISA: Das deutsche Schulsystem selektiert zu früh, nämlich in den meisten Bundesländern nach Klasse 4. Auch die Ergebnisse der Grundschul-Untersuchung IGLU haben die Problematik dieser Weichenstellung eindrücklich dokumentiert: Fast die Hälfte aller deutschen Grundschüler/innen erhält eine falsche Schulempfehlung. Vie zu oft wird nach sozialer Herkunft statt nach Leistungsfähigkeit entschieden. Sind die Kinder dann in einer Schulform eingeordnet, werden falsche Empfehlungen fast ausschließlich in der Schullaufbahn eines Kindes nach unten korrigiert. (www.wissenwollen.de ,S.12 f.)

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Zentrale strukturelle Aussagen des Plans sind etwa die folgenden:

  • Es gibt nur noch einen "allgemeinen Bildungsabschluss" am Ende von Klasse 10.
  • Das 10.Schuljahr hat eine "Gelenkfunktion" beim Übergang in die berufliche Ausbildung oder in die Schulen der Sekundarstufe II.
  • Die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit in der Sekundarstufe I wird damit aufgehoben.
  • Mit einem weiterentwickelten Kurssystem kann die Oberstufe in zwei bis drei Jahren durchlaufen werden.
  • Die Grundschule gibt keine Schulformempfehlungen mehr.
  • Die Querversetzung, d.h. die Überweisung an eine andere Schule, wird aus dem Schulgesetz gestrichen.
  • An die Stelle der Nichtversetzung treten Fördermaßnahmen.
  • Nur die Erziehungsberechtigten behalten das Recht, über eine Klassenwiederholung oder eine Schulwechsel ihres Kindes zu entscheiden.
  • Jede Schule kann sich zur einer Schule "mit gemeinsamer Sekundarstufe I" weiterentwickeln. Sie wird dann als Ganztagsschule geführt und verpflichtet sich, auch Kinder mit besonderem Förderbedarf zu integrieren.

In den Schulen der "gemeinsamen Sekundarstufe I" als einer Schule für alle Kinder werden die Lehrkräfte unterstützt durch "Schulassistenten" und "psychologisches, heilpädagogisches und sozialpädagogisches Fachpersonal". Ziel dieser Schulen ist "die Überwindung aussondernder Einrichtungen zu Gunsten gemeinsamen Lernens und Lebens". Die integrativ arbeitende Schule vermeide die "Isolierung der Kinder mit Behinderung"; "denn wer von Anfang an nicht ausgeschlossen" werde, müsse "auch später nicht wieder integriert werden". Lediglich für Kinder "mit schweren oder schwersten Behinderungen" würden "gesonderte Klassen nötig sein, um ihren besonderen Bedürfnissen gerecht werden zu können". (S.13)

Die Verschiedenheit der Kinder ist ein Vorteil. Alle Kinder, unabhängig von sozialer und ethnischer Herkunft oder einer Behinderung, werden an der Entwicklung des Schullebens beteiligt. Kinder, die auf diese Weise erlebnisorientiert lernen, können sich kognitiv, emotional und sozial besser entwickeln. Dabei profitieren die Stärksten genauso, das heißt die guten Schülerinnen und Schüler werden auf diese Weise motiviert und können ihre besonderen Fähigkeiten noch stärker entfalten. (S.22)

Gerade weil die SPD überzeugt ist, dass ihr Konzept einer "gemeinsamen Sekundarstufe I" "die Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern, Eltern, Wirtschaft und Schulträgern aufnimmt", soll es nicht "von oben" verordnet werden, "sondern die Veränderungen unter Beteiligung aller Betroffenen ‚von unten’ aufwachsen" (S.21). Mittel- und langfristig ist das Ziel eine Schulstruktur, "in der alle weiterführenden Schulen bis Klasse 10 eine gemeinsame Sekundarstufe I für Alle anbieten". Kurzfristig soll erreicht werden, "dass bis zum Jahr 2010 für jedes Kind wohnortnah im Sekundarbereich I mindestens eine Schule" nach den genannten Prinzipien arbeitet. Bei dieser Entwicklung komme "den heutigen Integrierten Gesamtschulen eine wichtige Rolle zu", weil sie "aufgrund ihrer heute bereits an den Grundprinzipien des gemeinsamen Lernens ausgerichteten Arbeit die besten Voraussetzungen" bieten, "diesen Wer zu beschreiten". (S.23)

Konkret heißt das: Jede Schule der Sekundarstufe I kann diesen Weg zu einer "gemeinsamen Sekundarstufe I" gehen. Das aber werden kaum mehr eigenständige Hauptschulen sein, an die immer weniger Schüler/innen angemeldet werden und die auslaufen, sobald sie nicht mehr durch Abschulung aufgefüllt werden. Es wird, dem Plan entsprechend, in absehbarer Zeit dann nur noch Haupt- und Realschulen, Integrierte Gesamtschulen und Gymnasien geben, die sich alle zu einer "gemeinsamen Sekundarstufe I" entwickeln können, wenn die Betroffenen, die Schule, die Eltern und der Schulträger, dies wollen. Ob eine Schule, die sich für dieses integrative/inklusive pädagogische Konzept entschließt, sich dann wie in Schleswig-Holstein "Gemeinschaftsschule" nennt oder ihre Schulformbezeichnung beibehält, lässt der Schulplan der SPD offen. Es geht eben nicht um eine neue Schulform, sondern um eine andere Lernkultur. Die Schulformbezeichnung ist dann in der Tat eine sekundäre Frage und kann jeder Schule und dem Schulträger überlassen bleiben.

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Die "gemeinsame Sekundarstufe I", ähnlich wie die "Gemeinschaftsschule" in Schleswig-Holstein oder die "Stadtteilschule" im Plan der Hamburger SPD, wäre für Hessen die Schule, die all das sukzessive überwinden kann, was Uwe Findeisen zurecht als das Kernproblem unseres selektiven, defizitorientierten Systems beschreibt, was jede Reforminitiative letztlich zur "Sisyphusarbeit" degradiert und individuelle Förderung, insbesondere bei den Leistungsschwachen, den Verlierern im System, unglaubwürdig macht. Wie dieses anspruchsvolle pädagogische Konzept in der Praxis kollegial entwickelt werde kann, lässt sich an reformierten hessischen Gesamtschulen studieren, nicht nur an den beiden über Hessen hinaus bekannt gewordenen Versuchsschulen: der Helen-Lange-Schule in Wiesbaden und der Offenen Schule Kassel-Waldau.

Die Frage, wie ein Schulkompromiss der beiden bildungspolitischen Lager in Hessen aussehen könnte, stellt sich in der aktuellen Situation viel schwieriger dar als in Hamburg. Dennoch steht die konfrontative Schulpolitik der allein regierenden CDU durch das oben zitierte regierungsinterne Papier bereits auf dem Prüfstand und wird auch im Wahlkampf nicht mehr als unverbindliche "Perspektivskizze" zu verdrängen sein. Die Hauptschule, noch von 4 Prozent direkt angewählt, ist bei rückläufigen Schülerzahlen nicht mehr zu retten und eine Fusion von Haupt- und Realschule, dem Plan der Schulexperten des Ministeriums entsprechend, für viele Schulen und Schulträger unausweichlich. Da in diesem Plan sowohl das Gymnasium als auch die Integrierte Gesamtschule unbehelligt bleiben, scheint ein Kompromiss der beiden Parteien, wie er in Schleswig-Holstein Gesetz geworden ist, auch in Hessen möglich, wenn die CDU die Integrierte Gesamtschule endlich nicht mehr bekämpft und sich mit dem erweiterten Konzept einer "gemeinsamen Sekundarstufe I" einverstanden erklärt, die ja nicht von oben verordnet werden soll, sondern zustande kommt, wo eine Schule oder ein Schulverbund, die Eltern und der Schulträger dies wollen.

Ob Haupt- und Realschulen nur bis Ende Klasse 6 oder, wie im Plan der Schulexperten der CDU, bis Ende 7 integriert arbeiten oder ob es gar, - jede dieser Varianten wäre wohl auch für die SPD ein Fortschritt gegenüber dem jetzigen Zustand.

Die Heinrich-von-Kleist-Schule mit einem eigenständigen Haupt- und Realschulzweig wurde von den Eltern immer weniger akzeptiert. Nachdem der Antrag der Schule, Integrierte Gesamtschule zu werden, nicht genehmigt wurde, akzeptierte das Ministerium auf Betreiben des Schulträgers schließlich einen Modell-Versuch mit integriertem Unterricht bis Ende Klasse 10, - dies auch, um den Druck auf die stark überwählten fünf Wiesbadener Integrierten Gesamtschulen zu vermindern. Das Kollegium der Schule entwickelt ein integratives Konzept, das sich an reformierte Integrierte Gesamtschulen anlehnt, und das hat in kurzer Zeit dazu geführt, dass die Schule nicht mehr alle angemeldeten Kinder aufnehmen kann und dass sie, obwohl sie gar keinen eigenständigen Hauptschulzweig mehr hat, einer der Landessieger im Hauptschulpreis 2007 geworden ist.

Ob das Gymnasium in einem Kompromiss der beiden politischen Lager einfach so weitermachen darf, mit Nichversetzen und Abschulen von Schüler/innen mit Lernproblemen, hängt wesentlich von der Entwicklung und dem Erfolg der Schulen ab, die auf diese selektiven Instrumente verzichten und sich vorbehaltlos auf individuelle Förderung und gemeinsames Lernen in heterogenen Gruppen einlassen.

Wenn ein hessischer Schulkompromiss nicht hinter den in Schleswig-Holstein zurückfallen soll, muss es auch jedem Gymnasium, im Einvernehmen mit Eltern und Schulträger, möglich sein, sich allein oder mit anderen Schulen zusammen zu einer "gemeinsamen Sekundarstufe I" zu entwickeln, wie das in Hessen ja schon einmal geschehen ist, als die Helen-Lange-Schule in Wiesbaden, ein ganz normales Gymnasium, sich in eine Integrierte Gesamtschule umgewandelt hat und inzwischen die attraktivste Schule der Landeshauptstadt geworden ist.

Es gibt mit den neuen Strukturmodellen in Schleswig-Holstein, Hamburg und Hessen keinen Grund mehr zu der Annahme, dass der Schulstreit zweier unversöhnlicher politischer Lager uns auch im 21.Jahrhundert erhalten bleibt, wobei es unerheblich ist, ob Schulkompromisse durch tiefere pädagogische Einsicht oder durch harte Fakten wie rückläufige Schülerzahlen und Finanzierbarkeit des gegliedert Systems zustande kommen. Der Maßstab für die Bewertung neuer Modelle muss allerdings eine positive Antwort auf die Frage sein, ob Veränderungen der staatlichen Rahmenbedingungen auch die Chance enthalten, dass die einzelne Schule kollegial eine andere Lernkultur entwickeln kann, ohne durch den Zwang zur Auslese an Grenzen individueller Förderung zu stoßen; ohne dass, wie Uwe Findeisen es formuliert, Wissenserwerb und Verstehen an ein Zeitlimit gebunden sind, mit der Zielvorgabe, dass es dadurch immer in einem bestimmten Umfange Erfolgreiche, weniger Erfolgreiche und Versager geben muss. Da dieses pädagogische Konzept unter den politischen Akteuren und in der Gesellschaft weiterhin strittig ist, muss in einem Kompromiss ein fairer Wettbewerb ermöglicht werden unter Schulen, die auf selektive Instrumente verzichten und solchen, die eine Eingruppierung in unterschiedlich anspruchsvolle Bildungsgänge für unverzichtbar halten.

Literatur

Findeisen, Uwe: Jugendgewalt. Von der Leistungskonkurrenz zu Selbstbild und gekränkter Ehre. In: PädForum 1/2004, S.15-20.

Findeisen, Uwe: Mit Leistungslernen zum Erfolg und Misserfolg – von der Selbstachtung bis zur Schulangst. 2007. In: www.forum-kritische-paedagogik.de .

Merkelbach, Valentin: Schule ohne Noten – wie soll das gehen? Dialogische Leistungsbewertung als Element einer anderen Lernkultur. Januar 2005. In: http://user.uni-frankfurt.de/~merkelba/.

Rösner, Ernst: Veränderungen der Schulstruktur in Schleswig-Holstein als Konsequenz demografischer und gesellschaftlicher Entwicklungen. Gutachten des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS) Universität Dortmund. September 2004

Letzte Aktualisierung: 01.05.2007