Prof. Dr. Valentin Merkelbach

Schulreform in Sachsen, Brandenburg und Thüringen

Januar 2015

Die Zeit nach der Wende

Die politisch indoktrinierte Schule der DDR war wohl ein entscheidender Grund dafür, dass es keines der fünf neuen Bundesländern in Betracht gezogen hat, nach der Grundschule die integriert arbeitende Polytechnische Oberschule (POS) von Klasse 5 bis 10, von ihren ideologischen Fesseln befreit, als Gesamtschule zu übernehmen. Das wäre bei der sich abzeichnenden Abwanderung in den Westen und einem damit verbundenen dramatischen Rückgang der Schülerzahlen eine der Situation angemessene Lösung gewesen. Statt dessen gelang es den alten Bundesländern, die sehr bald nach der Wende als „Patenländer“ im Osten aktiv geworden sind, überall das Gymnasium als die Spitze eines nun hierarchisch gegliederten Systems zu etablieren. Nicht gelungen ist allerdings, das dreigliedrige System westdeutscher Prägung mit Hauptschule, Realschule und Gymnasium vollständig durchzusetzen.

Eigenständige Hauptschulen gab es nur in Mecklenburg-Vorpommern und auch dort wurden sie 1996 durch verbundene Haupt- und Realschulen („Regionalschulen“) ersetzt. In Brandenburg gibt es, wie in Westberlin seit 1945 und nach der Wende in ganz Berlin, die sechsjährig Grundschule und danach Gymnasien, Realschulen und Integrierte Gesamtschulen. Die drei übrigen neuen Bundesländer, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, setzten auf ein zweigliedriges System aus Gymnasien und einer Schule der Sekundarstufe I, die nach der Klasse 6 abschlussbezogene Haupt-und Realschulklassen bildet. Sachsen nannte diese Schule Mittelschule, Sachsen-Anhalt Sekundarschule und Thüringen Regelschule. Übernommen wurde diese Schulform von Bayern in einer Zeit, als dort die Realschule erst ab Klasse 7 als eigenständiger Bildungsgang lief. Erst ab dem Schuljahr 2001/02 gibt es in Bayern das dreigliedrige System ab Klasse 5. (V. Merkelbach: Zur Entwicklung der Schulstruktur in den neuen Bundesländern. www.valentin-merkelbach.de / November 2011)

Obwohl die neuen Bundesländer nicht wie die alten mit der schwindenden Akzeptanz der Hauptschule zu kämpfen hatten und bei Pisa 2000 gerade in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit guten Ergebnissen glänzten, ja mit ihrem System für die Strukturdebatte in den alten Bundesländern Impulsgeber waren, gerieten auch da die Schulstrukturen bald in die Diskussion.

Wie hat sich die Schulreform in den drei Ländern, die in diesem Jahr Landtagswahlen hatten, in Sachsen, Brandenburg und Thüringen, in den letzten zehn Jahren entwickelt und welche Schulpolitik planen die drei neuen Regierungskoalitionen?

Sachsen

Die Mittelschule wird zur Oberschule

In der Koalition von CDU und SPD von 2004 bis 2009 erreichte die SPD im Koalitionsvertrag, dass es neben Gymnasium und Mittelschule eine Gemeinschaftsschule bis Klasse 10 geben sollte, allerdings nur als Schulversuch. Ebenfalls auf Betreiben der SPD kam eine andere Vereinbarung in den Koalitionsvertrag. Statt eines Notendurchschnitts von 2,0 sollte bereits eine Kind mit einem Durchschnitt von 2,5 eine verbindliche Bildungsempfehlung fürs Gymnasium erhalten. Der Zustrom zum Gymnasium verstärkte sich dadurch ebenso wie die Abschulungen vom Gymnasium zur Mittelschule, sodass die Landesregierung ein Forschungsprojekt an der Technischen Universität Dresden in Auftrag gab zum Problem „Schulformwechsel von Gymnasien zu Mittelschulen“ („Eine Expertise für die Landeshauptstadt Dresden“, Institut für Schulpädagogik, 2006).

Tatsächlich gingen in Dresden zum Schuljahr 2005/06 bereits 53 Prozent der Schüler/innen zum Gymnasium, mehr als zur Mittelschule. Damit wuchs „der Anteil der Schüler mit schwächeren Leistungen und Leistungsdefiziten“ in Mittelschulklassen und dies habe Auswirkungen „auf das gesellschaftliche Ansehen“ dieser Schulform. Zu befürchten sei darum, heißt es in der Studie, dass die Mittelschule zur „Restschule“ werde (S.79). (Mehr zur Studie: V. Merkelbach: Die sächsische Schule – ein Modell für Deutschland?, www.valentin-merkelbach.de /Februar 2008, S.2 ff.)

Nach dem Regierungswechsel 2009 haben CDU und FDP, wie erwartet, in ihrem Koalitionsvertrag den ungeliebten Schulversuch „Gemeinschaftsschule“ für beendet erklärt und zum Schuljahr 2013/14 musste auch der Notendurchschnitt für eine Gymnasialempfehlung wieder 2,0 sein. (http://bildungsklick.de /2.3.2014)

Die Mittelschule sollte zwar weiterhin „Kernstück“ des sächsischen Schulsystems bleiben und zur „Oberschule“ weiterentwickelt werden, indem „die zweite Fremdsprache ab Klasse 6“ schrittweise angeboten wird. In der 6.Klasse werde „im Benehmen mit den Eltern eine Bildungsempfehlung ausgestellt, um den Übergang auf das Gymnasium nach der sechsten Klasse zu ermöglichen“. Um diesen Übergang zu unterstützen sollen in den Klassen 5 und 6 „Leistungsgruppen zur individuellen Förderung angeboten werden“ (Koalitionsvertrag, S.15). Zur Namensänderung, die zu Beginn des Schuljahres 2013/14 in Kraft trat, erklärt Kultusministerin Brunhilde Kurth, mit der Oberschule sei „eine bessere individuelle Förderung und Berufsorientierung der Schüler sowie eine stärkere Leistungsorientierung verbunden“. (http://bildungsklick.de /21.8.2013)

Kann dieser Spagat gelingen, den Zugang zum Gymnasium bis Ende von Klasse 6 massiv zu fördern und gleichzeitig die Auszehrung der Mittelschule, auch wenn sie mit einem anspruchsvolleren Namen ausgestattet wir, zu stoppen? Wie werden Lehrkräfte sich verhalten, die in 5/6 dafür arbeiten sollen, möglichst alle „Zugpferde“ in ihren Klassen noch ans Gymnasium weiterzureichen und dabei dem Druck der an gymnasialer Bildung interessierten Eltern ausgesetzt zu sein? Und wie wird es Schüler/innen ergehen mit diesem Prüfungsmarathon von Klasse 1 bis Ende 6?

Inklusion

In dem inzwischen hochselektiven sächsischen Schulsystem ist die Umsetzung der Inklusion eine besonders große Herausforderung, zumal in Sachsen der Anteil der Schüler/innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf mit 8,4 Prozent zu den bundesweit höchsten gehört. Immerhin ist der Anteil der Kinder mit Behinderungen an Regelschulen in den letzten Jahren von 6 auf 20 Prozent gestiegen. Das sind inzwischen 6800 Schüler/innen, während noch 19000 die Förderschulen besuchen. (Erziehung & Wissenschaft 1/2004, S.24)

Für Sven Heitkamp in seinem Bericht über den sächsischen Weg zu einer inklusiven Schule ( Erziehung & Wissenschaft, 1/2014, S.24 f.) gehört Sachsen, „der Einser-Schüler bei PISA-Tests und bundesweiten Rankings“ zu den „Sitzenbleibern“. Heitkamp zitiert die Gewerkschaft Erziehung und Wissensschaft (GEW) mit ihrer Kritik, dass an den vier „Modellregionen“, die die Regierung eingerichtet hat und in denen bis 2015 Erfahrungen mit Inklusion gesammelt werden sollen, nur 123 Schüler/innen mit Förderbedarf an 22 Schulen beteiligt seien, während im übrigen Land nach wie vor eine „Bildungsagentur“ entscheide, ob ein Kind an der Regelschule einen Platz findet, und nicht die Eltern (S.25). Am Ende seines Berichts lässt Heitkamp die sächsische GEW-Vorsitzende, Sabine Gerold, zu Wort kommen:

Sachsen treibt derzeit die Zahlen der Integration aktionistisch nach oben – doch ohne Konzept und weitgehend über die Köpfe der Pädagoginnen und Pädagogen hinweg. Die Folgen sind verheerend: Förderschullehrkräfte haben Angst, dass ihre Einrichtungen ausbluten sollen. Und die Kolleginnen und Kollegen an den Regelschulen erbringen Integrationsleistungen, ohne dass man ihnen dafür zusätzliche Ressourcen bereitstellt. (Erziehung & Wissenschaft, 1/2014, S.25)

Kritik kommt auch von der Behinderteninitiative „mittendrin“. Die vier Modellregionen als Schulversuch kämen nur sehr wenigen Kindern zu gute und könnten weder den aktuellen Bedarf noch die wohnortnahe Beschulung sicherstellen. Ein flächendeckender Ausbau des Schulsystems in ein inklusives sei nach wie vor nicht in Sicht. Lernzieldifferente Beschulung im Oberschulbereich werde nur auf gerichtlichem Weg ermöglicht. An einer Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention habe Sachsen offensichtlich kein Interesse. (http://bildungsklick.de /26.3.2014)

Die Parteien vor der Wahl

CDU

Das „Regierungsprogramm“ 2014-2019 zeigt, dass es der sächsischen CDU, ähnlich wie der bayerischen CSU, schwerfällt, vom hohen Ross des „Pisa-Sieger-Landes“ abzusteigen und über notwendige Reformen nachzudenken. Das Land „soll sich auch weiter mit den Besten der Welt messen können – und zugleich von anderen Ländern in unserer Spitzengruppe lernen“. Sachsen zeige, „dass ein gegliedertes System möglich und aus dem Stand erfolgreich sein kann“.(S.23)

Dass ein so exklusives System sich besonders schwer tut, eine inklusive Schule zu entwickeln, wird dann auch auf der Seite deutlich, die im „Regierungsprogramm“ diesem Thema gewidmet ist. Für die sächsische CDU sind die vorhandenen Förderschulen „unverzichtbarer Bestandteil eines dichten Netzes an individuellen Angeboten“. „Zur bestmöglichen Entwicklung jedes einzelnen Kindes und Jugendlichen mit Behinderung“ strebt die CDU „so viel gemeinsamen Unterricht an der Regelschule wie möglich und so viel Unterricht an der Förderschule wie nötig an“. Eltern dürfen „über die Wahl des besten Förderortes“ nicht entscheiden, sondern sie können nur „mitentscheiden“. Gelingende Inklusion bedürfe „behutsamer Schritte“ und könne „nicht durch radikale Einschnitte in ein funktionierendes Fördersystem umgesetzt werden“. (S.26)

Solche Aussagen für die nächste Legislaturperiode bestätigen die Kritik der GEW und der Initiative „mittendrin“, dass die sächsische CDU sich von der Inklusionsforderung eher belästigt fühlt, als dass sie ernsthaft an der Formulierung eines Umsetzungskonzepts interessiert wäre.

FDP

Der Koalitionspartner FDP weist in seinem Wahlprogramm darauf hin, dass er alle Veränderungen nach dem Ende von Schwarz-Rot 2009 nicht nur mitgetragen, sondern zum Teil initiiert habe. Die Begründung für den Auslesemarathon von Klasse 1 bis 6, um möglichst alle leistungsstarken Schüler/innen von der Oberschule zum Gymnasium zu befördern, lautet: „Statt Gleichmacherei fördern wir unterschiedliche Talente. Weil es keine Einheitsschüler gibt, wollen wir auch keine Einheitsschule beziehungsweise Gemeinschaftsschule.“ „Den Übergang auf die weiterführenden Schulen wollen wir auch künftig durch eine leistungsorientierte Bildungsempfehlung gestalten.“ (S.7 f.)

Die Linke

Schulpolitischer Schwerpunkt der Linkspartei bleibt „die Überwindung des gegliederten Schulsystems“, unter Einschluss des Gymnasiums. Sie fordert „gemeinsames Lernen bis einschließlich Klasse 8 für alle Schülerinnen und Schüler“. Ab Klasse 9 ist der „Beginn einer Binnendifferenzierung in Leistungskursen“ vorgesehen, „die die Schülerinnen und Schüler selbst wählen“. Die übrigen Fächer werden „auch weiterhin bis zum Abschluss der Klasse 10 im gesamten Klassenverband unterrichtet“. (Wahlprogramm, S.19)

Die Forderung, wohnortnahe Gemeinschaftsschulen einzurichten, bedeutet für die Linkspartei, dass auch einzügige Schulen in Sachsen möglich sein müssen, was langfristig „die Einrichtung von Oberstufenzentren“ erforderlich mache, „um angesichts der negativen demographischen Entwicklung eine Vielfalt an Abschlüssen auch im ländlichen Raum zu ermöglichen“. (S.20)

Die Linkspartei steht „für die Verwirklichung der Forderung nach inklusiver Bildung für alle“. Es finde keine Auslese mehr statt und das bedeute, „dass alle Schülerinnen und Schüler solange wie möglich und so weit wie möglich gemeinsam unterrichtet werden“, mit der Perspektive, „die Förderschulen bis auf wenige Ausnahmen verzichtbar zu machen“. (S.19)

Die Linkspartei fordert eine Abkehr von der schulartbezogenen Lehrer/innen-Bildung hin zu einer stufenbezogenen. „Die Ausbildung aller Lehrerinnen und Lehrer soll hinsichtlich der Dauer einheitlich und gleichermaßen hochwertig sein, unabhängig von Schulform und Schulstufe.“ (S.22)

SPD

Die sächsische SPD hält in ihrem „Regierungsprogramm“ an der Gemeinschaftsschule fest. Diese Schulform biete „parallel zum Gymnasium einen gleichwertigen Weg zum Abitur“, mit „allen allgemeinbildenden Schulabschlüssen“. Sie schließt direkt an die Grundschule an und die Eltern entscheiden „auf der Grundlage einer Beratung gemeinsam mit den Kindern über den Bildungsweg“. Die Gemeinschaftsschule ist eine Ganztagsschule und erhält dafür „die erforderlichen personellen und materiellen Mittel“. (S27)

Gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention will die SPD „ein inklusives Schulsystem umsetzen“, in dem Kinder mit einer Behinderung „das Recht erhalten, in einer wohnortnahen Grund- oder Oberschule bzw. an einem Gymnasium gemeinsam mit anderen Kindern zu lernen, anstatt in Sondereinrichtungen wie den Förderschulen unter sich zu bleiben“, was entsprechende Rahmenbedingungen erforderlich mache. „Elemente des zieldifferenten Lernens, das an Förderschulen vorgehalten“ werde, „sowie das entsprechende Fachpersonal sollen in die Regelschule integriert werden und separate Förderschulen sukzessive abgebaut werden“. (S.29)

Die „derzeitigen Lehrerbildungsstrukturen“ sollen evaluiert werden, „um eine verlässliche Basis für ein Lehrerbildungsgesetz zu haben“. (S.35)

Bündnis 90 / Die Grünen

Nach dem Wahlprogramm der Grünen soll jedes Kind „individuell gefördert werden und alle Abschlüsse an ein und derselben Gemeinschaftsschule erreichen können“. Auch an Gymnasien sollen alle Schulabschlüsse, also auch der Hauptschulabschluss und der Mittlere Abschuss, erworben werden können. Die Wahl zwischen Oberschule und Gymnasium müsse „künftig nicht mehr als Entscheidung über Lebenswege empfunden werden“. Die Grünen wollen „Gemeinschaftsschulen von der Einschulung bis zum Schulabschluss durch Neugründungen oder Kooperationen mit anderen Schulen dort ermöglichen, wo kommunale oder freie Träger dies wollen“. Die bisherige verbindliche Bildungsempfehlung soll „durch eine „Bildungsberatung durch die Schule ersetzt“ werden. (Wahlprogramm, S.66)

Das Abitur kann an Gemeinschaftsschulen durch eine eigene gymnasiale Oberstufe oder eine verbindliche Kooperation mit Oberstufen anderer Gemeinschaftsschulen, den Gymnasien oder beruflichen Gymnasien in Oberstufenzentren ermöglicht werden. Dabei soll das Abitur an Gemeinschaftsschulen wahlweise in zwölf oder dreizehn Jahren abgelegt werden können, um den unterschiedlichen Lerngeschwindigkeiten der Schülerinnen und Schüler Rechnung zu tragen. (S.66)

Die Grünen kritisieren, dass 2011 im Landtag zwar ein Grundkonsens gefunden wurde, „das sächsische Bildungssystem zu einem inklusiven weiterzuentwickeln und dem Elternwunsch nach Besuch einer Regelschule bei verbesserten Rahmenbedingungen zu entsprechen“, in der Realität aber werde „das Recht auf inklusive Bildung noch immer regelmäßig verweigert“.

Wir wollen den Rechtsanspruch eines jeden Kindes auf den Besuch von Regelschulen bei deutlich verbesserten Rahmenbedingungen – wie ausreichenden SchulassistentInnen und sonderpädagogischen Lehrkräften – gewährleisten. Lernzieldifferenzierter Unterricht in der Sekundarstufe soll rechtlich ermöglicht werden. Wir wollen gemeinsam mit Schulträgern und weiteren AkteurInnen den Aktions- und Maßnahmenplan zur Umsetzung der UN-Konvention mit dem Ziel verbindlicher Zeitvorgaben weiter vorantreiben. (S.65 f.)

Die Grünen fordern, wie die Linkspartei, eine Reform der Lehrer/innen-Bildung. Sie halten „die Unterscheidung der Lehrämter nach verschiedenen Schularten für überholt und wollen stattdessen die Lehramtsausbildung auf ein Stufenmodell (Primarschule – Grundschule, Sekundarstufe – Oberschule/Gymnasium) mit gleicher Qualität und Dauer umstellen“. Eine stufenbezogene Ausbildung erhöhe „nicht nur die Vielseitigkeit des Lehramtsstudiums, sondern auch die Einsatzmöglichkeiten bei der späteren Lehrtätigkeit“. In diesem Zusammenhang werde „auch eine Gleichstellung des Lehramtes an Grundschulen mit den übrigen Lehrämtern“ angestrebt. In einer solchen Reform der Ausbildung sollen alle Lehrer/innen auch „umfassende Kompetenzen im Umgang mit SchülerInnen mit Behinderungen entwickeln können“. „Pflichtmodule in inklusiver Pädagogik“ sollen „verbindlich im Lehramtsstudium“ verankert werden. (S.70)

Während die beiden Regierungsparteien, CDU und FDP, sich einig sind, dass ihre Schulpolitik hervorragende Ergebnisse gebracht hat in nationalen und internationalen Leistungstests und es keinen Grund gibt, daran etwas zu ändern, zeigt sich bei den drei Oppositionsparteien, Linkspartei, SPD und Grüne, in ihren Reformkonzepten ein hohes Maß an Gemeinsamkeit, insbesondere in den zentralen Forderungen nach längerem gemeinsamem Lernen in einer Gemeinschaftsschule und nach einem Konzept für konkrete Schritte auf dem Weg zu einer inklusiven Schule.

Schulpolitik im Koalitionsvertrag

Da nach der Wahl Schwarz-Gelb nicht mehr möglich war, es für Schwarz-Grün nicht reichte und weder Linkspartei noch AfD in Betracht kamen, blieb nur die SPD für eine Koalition übrig. Wird der neue, durch die Wahl leicht gestärkte, Juniorpartner diesmal schulpolitisch mehr erreichen als 2004 in der Koalition mit der CDU? Die SPD forderte in ihrem „Regierungsprogramm“

  • die Gemeinschaftsschule als Ganztagsschule, die „parallel zum Gymnasium einen gleichwertigen Weg zum Abitur“ anbietet,

  • statt eines verbindlichen Grundschulgutachtens Wahlfreiheit der Eltern „auf der Grundlage einer Beratung“ durch die Grundschule,

  • „ein inklusives Schulsystem“, in dem Kinder mit einer Behinderung „das Recht erhalten, in einer wohnortnahen Grund- oder Oberschule bzw. an einem Gymnasium gemeinsam mit andern Kindern“ zu lernen, „anstatt in Sondereinrichtungen wie den Förderschulen“, die „sukzessive abgebaut“ werden sollen, „unter sich zu bleiben“,

  • die „derzeitigen Lehrerbildungsstrukturen“ zu evaluieren, „um eine verlässliche Basis für ein Lehrerbildungsgesetz zu haben“.

Die Gemeinschaftsschule, die auch Linkspartei und Grüne fordern, ist im Koalitionsvertrag kein Thema mehr. Statt der Gemeinschaftsschule als Schulversuch (2004) erreichte die SPD diesmal eine Oberschule, die längeres gemeinsames Lernen bis zum Ende von Klasse 10 ermöglicht.

Wir werden die Durchlässigkeit im zweigliedrigen sächsischen Schulsystem weiterentwickeln und die Anschlussfähigkeit der Oberschulen an die Gymnasien erhöhen. Wir werden dazu den Schulen vor Ort die Möglichkeit eröffnen, eigenverantwortlich von der Bildungsgangdifferenzierung abzuweichen. Voraussetzung dafür ist ein im Konsens von Schulkonferenz und Schulträger erstelltes pädagogisches Konzept. (Koalitionsvertrag, S.12)

Das bedeutet, dass die Schüler/innen nicht nach der Auslese durch die Grundschule am Ende von Klasse 6 ein weiteres Mal sortiert werden, diesmal nicht für Gymnasium oder Oberschule, sondern für abschlussbezogene Haupt- und Realschulklassen. Schulen und Schulträger können sich für eine Oberschule entscheiden, die wie eine Gesamt- oder Gemeinschaftsschule ohne eigene Oberstufe eingerichtet werden kann. Fragen bleiben allerdings: Wird diese Oberschul-Variante, was Lehrplan, Stundentafel und Fremdsprachen betrifft, dem Gymnasium gleichgestellt sein? Gibt es mit Blick auf die Oberstufe eine Verpflichtung, mit einem benachbarten Gymnasium zu kooperieren? Wird das wieder von der CDU besetzte Kultusministerium ein „pädagogisches Konzept“ einer Oberschule auch dann akzeptieren, wenn es die Kapazität eines Gymnasium in der Sekundarstufe I tangiert?

Ohne Erfolg blieb die SPD beim Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule. Es bleibt offensichtlich bei der verbindlichen Bildungsempfehlung der Grundschule.

Es bleibt beim „Doppelsystem“ Förderschule – Regelschule, wenn es im Koalitionsvertrag im Sinne der CDU heißt: Die Regierung strebt „zur bestmöglichen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen so viel gemeinsamen Unterricht an der Regelschule wie möglich und so viel Unterricht an der Förderschule wie nötig an“. (S.13) Die Umsetzung der Inklusion „schrittweise und mit Augenmaß“ heißt wohl im Klartext: Inklusion ist für die CDU und für ihr Festhalten an einem auslesenden System eher ein lästiges Pflichtprogramm als ein Projekt, das man, trotz erheblicher personeller und materieller Investitionen, beherzt angehen möchte. Dafür bräuchte es dann schon mittelfristig die erheblichen Ressourcen der Förderschulen.

Die Forderung der SPD, die „derzeitigen Lehrerbildungsstrukturen“ zu evaluieren, findet im Koalitionsvertrag die vage Formulierung, man wolle „die Lehrerbildung schrittweise evaluieren“. Ob es dabei dann auch um den Abbau der Hierarchie unter den Lehrämtern geht, um eine stufen- statt schulformbezogene Ausbildung, wie es Linkspartei und Grüne fordern, und nicht wieder nur um mehr Praxisbezug, bleibt offen.

Die CDU hat sich in den Koalitionsverhandlungen schulpolitisch weitgehend durchgesetzt. Dennoch könnte das einzige Zugeständnis an die SPD, eine integriert bis Ende Klasse 10 unterrichtende Oberschule, die sowohl auf den Haupt- und Realschulabschluss als auch auf den Übergang auf die gymnasiale Oberstufe vorbereitet, ein Angebot sein an Eltern, Schulen und Schulträger, und das nicht nur im ländlichen Raum. Die ambitionierten schulpolitischen Programme von Linkspartei und Grünen könnten helfen, den bescheidenen Reformeifer der neuen Regierung zu beflügeln.

Brandenburg

Oberschulen statt Gesamtschulen

Die Große Koalition aus SPD und CDU in Brandenburg einigte sich 2004 darauf, das dreigliedrige Schulsystem der Wendezeit aus Gymnasium, Realschule und Gesamtschule längerfristig in ein zweigliedriges System nach sächsischem Vorbild umzuwandeln. Alle Realschulen und die Gesamtschulen ohne eigene Oberstufe wurden 2005 in „Oberschulen“ umbenannt. Der angestrebten Zweigliedrigkeit stehen seitdem nur noch Gesamtschulen mit eigener Oberstufe im Wege.

Daran hat sich in der rot-roten Koalition nach der Landtagswahl 2009 nichts geändert. Im Koalitionsvertrag der beiden Parteien werden die verbliebenen Gesamtschulen mit einer Oberstufe nicht einmal mehr erwähnt. Die einzige strukturrelevante Änderung betrifft Oberschulen in „dünnbesiedelten Regionen“, die nach der sechsjährigen Grundschule „bereits mit zwei mal 12 Kindern eingerichtet werden“ können, „damit die Schulwege nicht zu lang werden“. (Koalitionsvertrag 2009, S.10)

Was aber machen Eltern in diesem Bundesland, die in dünn besiedelten Regionen ihre Kinder auf ein Gymnasium oder auf eine der noch verbliebenen Gesamtschulen mit einer Oberstufe schicken wollen? Die SPD hat 2005 mit der CDU zusammen auch beschlossen, dass die 135 Gesamtschulen ohne Oberstufe, also kleinere Gesamtschulen, die aber denselben Bildungsanspruch hatten wie ein Gymnasium, in berufsorientierte Oberschulen umgewandelt wurden. Für die damalige Bildungsministerin, Martina Münch, war diese Oberschule „eine Schulform, in der die Jugendlichen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft optimal auf ihre Zukunft und auf das spätere Berufsleben vorbereitet werden“ (bildungsklick.de /14.2011). Die 39 verbliebenen Gesamtschulen mit Oberstufe haben nur eine Überlebenschance, solange sie genügend Schüler/innen für eine Oberstufe vorweisen können. In einer Pressemeldung des Ministeriums zum Schuljahr 2013/14 ist nur noch von 21 Gesamtschulen die Rede (bildungsklick.de /14.3.2013). Das sind fast nur noch die Hälfte des Jahres 2005.

Inklusion

In Brandenburg steigt seit Jahren der Anteil der Schüler/innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf an der Regelschule und lag im Schuljahr 2012/13 bei 42 Prozent (Bundesdurchschnitt: 25 Prozent). Die Förderquote insgesamt ist in Brandenburg höher als im Bundesdurchschnitt: 8:6,4 Prozent (Erziehung und Wissenschaft, 11/2013, S.31).

Im Frühjahr 2011 wurde von der Bildungsministerin Martina Münch das Projekt „Inklusion – Schule für alle“ gestartet, mit landesweiten Regionalkonferenzen, auf denen mit allen an Bildung Beteiligten öffentlich über Inklusion diskutiert wurde. Seit September 2011 berät ein Runder Tisch „Inklusive Bildung“ mit 35 Vertreter/innen verschiedener Verbände und Institutionen das Bildungsministerium. Seit Oktober 2011 gibt es einen Wissenschaftlichen Beirat „Inklusive Bildung“ der Universität Potsdam. Im Schuljahr 2012/13 startete das Pilotprojekt „Inklusive Grundschule“ an 75 öffentlichen und 9 Grundschulen in Freier Trägerschaft. Die insgesamt 84 Grundschulen sollen Vorreiter sein bei der Umsetzung von Inklusion. (bildungsklick.de /18.1.2013)

In einem Beitrag von Barbara Kerbel „Nicht alle gehören dazu“ (Erziehung und Wissenschaft, 11/2013, S.30 f.) heißt es: Die Landesregierung habe das Projekt „Inklusive Schule“ „mit viel Energie und unter Zeitdruck angeschoben“. Während die erste Zwischenbilanz der Ministerin und der Universität Potsdam durchaus positiv sei, sähen es die Lehrkräfte vor Ort ganz anders. Zwar seien die versprochenen zusätzlichen Stunden an den Pilotschulen angekommen, nur gebe es ein massives Vertretungsproblem. An vielen Schulen sei „die Personaldecke so dünn, dass die Sonderpädagoginnen und -pädagogen als Vertretungslehrkräfte einspringen“ müssten. Kaum im Amt habe darum der neue Ministerpräsident, Dietmar Woidke, im Sommer 2013 angekündigt, „von 2014 an zehn Millionen Euro bereitzustellen, um Unterrichtsausfälle zu reduzieren“. (S.31)

Die Parteien vor der Wahl

SPD

Im „Regierungsprogramm“ 2014-2019 wird auf einer Seite unter der Überschrift „Gute Schulen in allen Regionen: Ein klares Schulsystem“ mitgeteilt, wie es in Brandenburg nach der Wahl weitergehen soll, wenn die Partei wieder regieren wird. Die Schulstruktur in Brandenburg habe „seit 1990 viele Entwicklungen durchlaufen“, die nicht alle „vernünftig“ gewesen seien. Nun aber besitze das Land ein Schulsystem, „dessen Grundstruktur sich bewährt“ habe. Die SPD stehe „für vernünftige und unideologische Bildungspolitik in Brandenburg und für den Schulfrieden“ im Land. Ziel sei „ein klar strukturiertes, verlässliches und durchlässiges Schulsystem, in dem die Schülerinnen und Schüler lange gemeinsam lernen und das die nötige Flexibilität für dünnbesiedelte Regionen bietet“. Die SPD werde die erfolgreiche sechsjährige Grundschule fortsetzen und stehe nach der 6.Klasse „für eine konsequente Zweigliedrigkeit“. (S.8)

Noch gibt es allerdings nach der Reform von 2005 drei Schulformen: Die Gymnasium führen nach 12 und die noch verbliebenen Gesamtschulen nach 13 Schuljahren zum Abitur. In den Oberschulen, die nach sächsischem Vorbild „berufsorientiert“ sind, will die SPD jetzt allerdings eine „vertiefte Bildung“ einführen, „damit die Schüler im Verbund mit Oberstufenzentren und Gesamtschulen nach 13 Jahren das Abitur ablegen können“ (S.8)

Diese Neuerung, „vertiefte Bildung“ in der Oberschule, heißt im Klartext, dass die SPD gegenüber der Reform von 2005 nun bereit ist, die Oberschule als quasi Gesamtschule ohne Oberstufe wieder einzuführen, mit dem gleichen Bildungsanspruch wie das Gymnasium und die Gesamtschule mit Oberstufe. Dies geschieht ganz im Interesse von Eltern und Kommunen, besonders in ländlichen Regionen, die eine Schule wollen, die bis zum Ende der Sekundarstufe I alle Abschlüsse offen hält, auch für die Schüler/innen, die Abitur machen wollen, ohne dass sie schon nach der Grundschule weite Wege zum nächsten Gymnasium oder zu einer Gesamtschule mit Oberstufe machen müssen.

Die Linke

Die Linke, die in der Koalition mit der SPD und dem SPD-geführten Bildungsministerium wenig bewirken konnte, nimmt für sich dennoch in Anspruch, sie habe in den vergangenen Jahren „vieles stabilisieren und manches verbessern können“. Sie sei aber noch nicht am Ziel, solange „eine umfassende soziale Gleichheit in der Bildungsteilhabe nicht gesichert“ und der Zugang zur Bildung noch „zu stark vom Status der Eltern abhängig“ sei. Erklärtes Ziel der Linkspartei „ist und bleibt die Gemeinschaftsschule, eine inklusive, demokratisch verfasste Ganztagsschule mit flexibler Schulausgangsphase zum Abitur“. An ihr soll „ein multiprofessionelles Team arbeiten, zu dem neben den Lehrkräften u.a. Inklusionspädagogen, Schulsozialarbeiter, Schulpsychologen als auch Krankenschwestern gehören“. (Wahlprogramm, S.18 f.)

Diesem Ziel will die Linkspartei „mit Augenmaß“ folgen. Die Gemeinschaftsschule hält sie aus „pädagogischen und demografischen Erwägungen“ „für ein zukunftsfähiges Modell für Brandenburg. Die Realisierung könne allerdings nur gelingen, „wenn es von allen Beteiligten gewollt, von unten wächst und auf freiwilliger Basis geschaffen wird“. Darüber hinaus fordert die Linkspartei die „Durchlässigkeit der bestehenden Schulformen“ zu erhöhen, wozu „gleiche Rahmenlehrpläne und Stundentafeln für Oberschulen, Gesamtschulen und Gymnasien bis Klasse 9“ nötig seien. (S.19)

CDU

Für die oppositionelle CDU ist das Leistungsprinzip „der beste Weg, um den Erfolg unabhängig von der familiären Situation zu ermöglichen“. In einem mit „Schulfrieden“ überschriebenen Passus teilt die Partei mit, dass sie auch in den Jahren 2014-2019 schulpolitisch an dem festhalten möchte, was sie seinerzeit in der Koalition mit der SPD ausgehandelt und was die rot-rote Koalition heil überstanden hat.

Die bestehende Schulstruktur wollen wir erhalten. Grundschulen, Oberschulen, Gesamtschulen, Gymnasien und Förderschulen bleiben in der bisherigen Form bestehen. Wir stehen für Qualitätsverbesserungen und führen keine Strukturdebatten. Schulfrieden bedeutet demzufolge auch eine unmissverständliche Absage an eine Einheitsschule. Für die CDU Brandenburg bleibt das Gymnasium ein unverzichtbarer Bestandteil der Bildungslandschaft. („Regierungsprogramm“ 2014-2019, S.14)

FDP

Die FDP, vor der Wahl noch Opposition im Landtag, ist, ähnlich wie die CDU, nach wie vor einverstanden mit dem, was SPD und CDU 2005 vereinbart haben. „Ideologische Strukturen“ lehnt die Partei ab. Vielmehr geht sie davon aus, dass „sich im Wettbewerb vor Ort das geeignete Schulangebot“ durchsetze. Dabei gelte es allerdings, neben „dem Wettbewerb der Ideen auch ein gymnasiales Angebot sicherzustellen“. (Wahlprogramm 2014, S.6)

„Dort, wo Inklusion möglich ist“, heißt es im Wahlprogramm, „soll sie stattfinden, dort, wo eine getrennte Förderung nötig ist, soll sie auch mögliche sein“. Ein inklusives Bildungssystem schließe „die Existenz von Förderschulen“ nicht aus. Darum will die FDP „das Wahlrecht der Eltern stärken und ihnen die notwendigen Entscheidungsmöglichkeiten eröffnen“. (S.8)

Bündnis 90 / Die Grünen

Die Grünen sind überzeugt, gute Bildung lasse „sich nicht 'von oben' verordnen“; sie könne „nur 'von unten' wachsen“. Darum setzt die Partei auf eine „Politik des Ermöglichens“ (Wahlprogramm, S.35) Für gefährdete Grundschulen heißt das etwa, „Filialgrundschulen“ zu ermöglichen, „mit Außenstellen bis zur 4.Klasse und einem zentralen Standort bis zur 6.Klasse“ (S.37). Nach der 6.Klasse gilt für die Grünen: „Die Qualität der Schule entscheidet – und die beste Schulform ist die, die regional passt.“ Für die Qualität aber sei es „unterstützend, wenn Kinder und Jugendliche deutlich länger gemeinsam lernen können“. Eine frühe Aufteilung der Kinder auf verschiedene Schultypen erzeuge „enormen Druck bei Schülerinnen und Schülern, Eltern und Lehrkräften“. Vor allem aber sei diese frühe Auslese „zutiefst unsozial – denn die Grundschulempfehlung für ein Kind“ hänge „vor allem von seiner sozialen Herkunft ab“ und dies mache „die Kinder aus benachteiligten Familien zu Verlierern in unserem Bildungssystem“. Konkret heißt das für die Grünen:

Die bestehende Schulstruktur in der Sekundarstufe I ist das Ergebnis halbherziger Schulreformen der Vergangenheit. Als erster Schritt zur Veränderung muss daher die Oberschule gestärkt und zu einer Schule weiterentwickelt werden, die auch den Bildungsgang zur allgemeinen Hochschulreife einschließt. Wir wollen ein Schulform, die so lange wie möglich alle Abschlüsse offen lässt und niemanden frühzeitig ausschließt. In Brandenburg setzt dies die Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe am besten um. Darum bestärken wir alle Schulträger, die gemeinsames Lernen bis zur 10.Klasse ermöglichen wollen. (S.38)

Für die Grünen in Brandenburg heißt Inklusion mehr individuelle Förderung für alle. Sie unterstützen darum „das Ziel eines inklusiven Bildungssystems und drängen darauf, Inklusion im Schulgesetz festzuschreiben“. Das Inklusionskonzept der rot-roten Koalition mit Pilotschulen ende allerdings mit der Klasse 6. Für die Sekundarstufe fordern die Grünen darum „neue Konzepte zur Inklusion, in die auch Gymnasien einbezogen werden“. (S.39 f.)

Die Grünen fordern als einzige Partei im Landtag auch eine Reform der Lehrer/innen-Bildung. Sie gehen davon aus, dass in Brandenburg „immer weniger reine Gymnasiallehrkräfte gebraucht“ werden und darum sollte das Land „nur noch Sekundarstufenlehrkräfte“ ausbilden, die „dann von Klasse 7 bis 13 einsetzbar“ sind. (S.42)

Während CDU und FDP die Schulstrukturreform von 2005 auch für die nächsten fünf Jahre fortschreiben wollen, will sich die SPD, der damalige Koalitionspartner der CDU, mit seinem neuen Oberschul-Konzept („vertiefte Bildung“), im Verbund mit Gesamtschulen und Oberstufenzentren ,wegbewegen vom stark ausleseorientierten, zweigliedrigen sächsischen Modell und strebt offensichtlich, wie die Stadtstaaten und das Saarland, ein Zwei-Wege-Modell an, mit Gymnasium und einer Oberschule, die alle Abschlüsse offen hält, auch den Weg zum Abitur nach 13 Schuljahren, ohne dass Schüler/innen auf die Oberstufe eines G8-Gymnasiums wechseln müssen. Dieses Konzept kommt nicht nur dem Koalitionspartner, der Linkspartei, und den oppositionellen Grünen entgegen, sondern ist zugleich ein attraktives Angebot an Eltern und Kommunen, insbesondere in ländlichen Regionen.

Schulpolitische Vereinbarungen im Koalitionsvertrag

Nach der Wahl vom 14.9.2014 hat sich die SPD als stärkste Fraktion im Landtag entschlossen, mit der Linkspartei weiterzuregieren. Das knapp gehaltene schulpolitische Programm im Koalitionsvertrag bestätigt in etwa die Politik der beiden Partner von 2009 bis 2014. Es bleibt bei dem Konzept „Inklusive Grundschule“. Es bleibt bei der verbindlichen Zuweisung der Schüler/innen am Ende der Grundschule zu Gymnasium und Oberschule. Nicht vorgesehen ist eine stufenbezogene Reform der Lehrer/innen-Bildung, wie sie die Grünen fordern. Wieder nicht zum Zuge kommt die alte Forderung der Linkspartei nach einer Gemeinschaftsschule bis zum Ende der Pflichtschulzeit, unter Einschluss des Gymnasiums.

Der strukturelle Kompromiss der beiden Partner ist die „vertiefte Bildung“ für die Oberschule, die die SPD vor der Wahl angekündigt hat und die in den Koalitionsvertrag übernommen wurde. Sie bedeutet nicht nur, wie es im Koalitionsvertrag heißt, „eine Erleichterung des Übergangs“ auf die Oberstufe eines Gymnasiums, sondern, wichtiger noch, auf die Oberstufe der verbliebenen Gesamtschulen bzw. auf die inzwischen 28 Oberstufenzentren, die „qualitativ weiterentwickelt“ werden sollen (Koalitionsvertrag, S.10). „Vertiefte Bildung“ an Oberschulen entspricht der Forderung der Linkspartei nach „gleichen Rahmenlehrplänen und Stundentafeln für Oberschulen, Gesamtschulen und Gymnasien bis Klasse 9“ (Wahlprogramm, S.19) Und sie stimmt überein mit dem, was die Grünen in einem ersten Schritt zur Veränderung der Schulstruktur fordern, die Oberschule zu einer Schule weiterzuentwickeln, „die auch den Bildungsgang zu einer allgemeinen Hochschulreife einschließt“. (Wahlprogramm, S.38)

Eine Konsequenz dieser Strukturveränderung dürfte sein, dass das Gymnasium nicht mehr so ohne Weiteres Schüler/innen mit Lernproblemen an eine weniger anspruchsvolle Schule weiterreichen kann; denn diese Schule gibt es formal nicht mehr. Die Oberschule hat dann neben der Gesamtschule denselben Bildungsanspruch wie das Gymnasium, hat aber eine viel stärker heterogene Schülerschaft, was auf der Basis eines Sozialindex bei der Ressourcenzuweisung berücksichtigt werden muss. Die Oberschule mit „vertiefter Bildung“ ist jetzt wieder die Gesamtschule ohne Oberstufe vor der Reform von 2005. Drängender wird damit die Forderung der Grünen nach einer stufenbezogenen Lehrer/innen-Bildung und die Frage, ob die Grundschule weiterhin eine verbindliche Zuweisung zum Gymnasium formulieren muss und sich nicht auf eine verbindliche Beratung der Eltern beschränken kann, wenn es nächstens in Brandenburg mit Gymnasium, Oberschule und Gesamtschule drei Schulformen gibt, die bis zum Ende von Klasse 10 formal gleichwertig sind.

Obwohl die neue Koalition die alte ist, könnte es in Brandenburg schulpolitisch spannender werden als in der letzten Legislaturperiode, auch durch das ambitionierte Reformprogramm, das die Grünen in die Diskussion gebracht haben und das die Regierung stärker herausfordert als die oppositionelle CDU, die an dem mit der SPD vereinbarten Kompromiss von 2004 festhält und jede weitere Strukturreform ablehnt.

Thüringen

Die neue Gemeinschaftsschule

In Thüringen verlor die CDU bei der Landtagswahl 2009 ihre absolute Mehrheit. Bis dahin gab es für die Regierung keinen Grund, das bei Pisa recht erfolgreiche zweigliedrige Schulsystem aus Gymnasium und Regelschule, wie sie in Thüringen heißt, zu ändern. Nachdem die SPD nicht bereit war, mit der Linkspartei zu koalieren und als Juniorpartner einen Ministerpräsidenten der Linkspartei zu wählen, blieb ihr nur eine Koalition mit der CDU, der eigentlichen Wahlverliererin.

Wie in Sachsen 2005 setzte die SPD 2009 in Thüringen im Koalitionsvertrag eine Gemeinschaftsschule durch, allerdings nicht als Schulversuch wie in Sachsen, sondern die Gemeinschaftsschule ist eine gleichberechtigte Schulform neben Gymnasium und Regelschule. Die Schüler/innen dieser neuen Schule lernen bis zum Ende von Klasse 8 gemeinsam. Ab Klasse 9 werden sie in abschlussbezogenen Klassen auf den Haupt- oder Realschulabschluss oder auf das Abitur vorbereitet. „Wir schaffen so die Möglichkeit für die Eltern“, so der SPD-Kultusminister Christoph Matschie, „erst nach der achten Klasse über den Schulabschluss ihrer Kinder zu entscheiden“.

Für den Bildungsminister bietet die Gemeinschaftsschule und die späte Entscheidung der Eltern für einen Schulabschluss auch die Chance, die zahlreichen Abstufungen vom Gymnasium auf die Regelschule zu verringern; denn der Wunsch von Eltern, ihr Kind am Ende der Grundschule unbedingt auf eine Gymnasium zu schicken, führe dazu, dass ein Teil die Anforderungen nicht schaffe und abgestuft werde, was oft die betroffenen Schüler/innen demotiviere und zu „Negativerfahrungen“ führe. (http://bildungsklick.de /30.10.2012)

Schon bald nach der Verabschiedung des Koalitionsvertrags macht die CDU-Fraktion im Landtag Front gegen die Gemeinschaftsschule, zu der sich jede Regelschule und jedes Gymnasium entwickeln kann. Kernpunkt des CDU-Konzepts war: Die Regelschule soll sich zu einer „Oberschule“ weiterentwickeln, mit einer eigenen Oberstufe oder in Kooperation mit der Oberstufe eines Beruflichen Gymnasiums.

Minister Matschie, der sich durch die CDU-Initiative provoziert fühlte, erklärte nach einer Kabinettssitzung am 18.5.2010 den Schulstreit in der Koalition für beendet. Es bleibe bei der Gemeinschaftsschule, „die im Koalitionsvertrag festgeschrieben“ sei (http://bildungsklick.de /21.5.2010). Fragt sich, was den Koalitionspartner bewogen hat, diesen Streit vom Zaun zu brechen. In einem Interview nennt der CDU-Fraktionsvorsitzende, Mike Mohring, wohl ein wichtiges Motiv. Die CDU sieht mit der Gemeinschaftsschule vor allem das Gymnasium in Frage gestellt. Die Partei stehe „für ein gegliedertes Schulsystem“, so Mohring, „nicht für ein Einheitsschulsystem“. (www.dradio.de /14.9.2011)

Die Gemeinschaftsschule ist in Thüringen, wie die Integrierte Gesamtschule, eine alle Schulformen ersetzende Schule. Sie entsteht nicht, weil eine Partei oder Regierung sie einführen wollen, sondern nur dort, wo Eltern, Schule und Schulträger sich dazu entschließen. Sie muss für ihre gegenüber dem Gymnasium viel stärker heterogene Schülerschaft auf der Basis eines seriösen Sozialindexes bedarfsgerecht ausgestattet werden. D.h. Der Staat muss faire Rahmenbedingungen gewährleisten im pädagogischen Wettbewerb zwischen Gemeinschaftsschule und Gymnasium, damit die neue Schulform nicht trotz Abitur-Angebot sich dann doch zu einer neuen Hauptschule entwickelt.

Inklusion

Nach der 2013 veröffentlichten Studie von Klaus Klemm zur Inklusion seit dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland im Jahr 2009 gehört Thüringen zu den Bundesländern, in denen der Anteil der in Förderschulen unterrichteten Schüler/innen erheblich gesenkt werden konnte, von 7,5 auf 5,2 Prozent, im Unterschied zu Bundesländern, in denen die Quote seitdem sogar gestiegen ist, wie in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg und im Saarland. (http://bildungsklick.de /18.3.2013)

Die Koalition aus CDU und SPD hat einiges zur Umsetzung der Inklusion in die Wege geleitet. So gibt es seit 2011 einen Beirat „Inklusive Bildung“, dem Vertreter staatlicher und freier Schulträger, von Kindertagesstätten, Behindertenverbänden, der Landeseltern- und der Landesschülervertretung, der Landtagsfraktionen, des Instituts für Lehrerfortbildung und für Lehrplanentwicklung und des Sozial- und Bildungsministerium angehören. Seit dem Schuljahr 2011/12 bekommen Grund-, Regel- und Gemeinschaftsschulen (das Gymnasium fehlt bei dieser Aufzählung) unabhängig von der Anzahl der Schüler/innen mit Behinderungen eine halbe Personalstelle mit sonderpädagogischer Kompetenz zugewiesen. Seit dem Schuljahr 2011/12 nehmen fachlich zuständige Teams die sonderpädagogische Begutachten vor. Sie entscheiden, ob ein Kind die Förderschule oder den Gemeinsamen Unterricht (GU) besucht. (http://bildungsklick.de /2.11.2011)

Während Kultusminister Matschie Thüringen auf einem guten Weg sieht und darauf verweist, dass 2013 bereits 28 Prozent der Schüler/innen am Gemeinsamen Unterricht teilnehmen und das Land damit über dem Bundesdurchschnitt liegt (25 Prozent) (http://bildungsklick.de /19.3. 2013), gibt es Kritik vor allem vom größten thüringischen Lehrerverband, der GEW. Für den Vorsitzenden, Torsten Wolf, geschah die Einführung des Gemeinsamen Unterrichts von Anfang an auf Kosten der Gesundheit der Lehrer/innen und ohne Berücksichtigung der konkreten Lage vor Ort. Wenn das Ministerium ernsthaft für Inklusion stehe, müsste Schluss sein mit den zentralen Personalzuweisungen durch Ministerium und Schulämter. Die Schulen brauchten auf Grund ihrer eigenen Bedingungen die Möglichkeit, den Personalbedarf zur Umsetzung der Inklusion anzumelden und in Abstimmung mit Ministerium und Schulamt auch zu erhalten (http://bildungsklick.de /23.3.2011).

Ein Jahr danach fasst Wolf seine Kritik so zusammen: „Wir haben in Thüringen begonnen, den Weg der Inklusion zu gehen, aber wir stehen noch ganz am Anfang. Für die Umsetzung des Gemeinsamen Unterrichts und der individuellen Förderung fehlen an vielen Schulen einfach die entscheidenden Ressourcen. Da muss Thüringen nachlegen.“ (http://bildungsklick.de /12.3.2012)

Die Parteien vor der Wahl

CDU

Wie sehr das CDU-Konzept einer Oberschule mit eigener dreijähriger gymnasialer Oberstufe oder in Kooperation mit einem Beruflichen Gymnasium eine bewusste Provokation des SPD-Kultusministers mit seinem Konzept einer im Koalitionsvertrag vereinbarten Gemeinschaftsschule war, zeigt der „Thüringenplan 2014-2019“ der CDU. In seinem schulpolitischen Teil will die Partei „für jedes Kind die beste Schule statt einer Schule für alle“. „Einheitsschulen bringen uns da nicht weiter.“ Die CDU will „deshalb alle bestehenden Schulformen erhalten“; denn das „gegliederte Schulsystem“ habe „sich bewährt“ Die „andauernden lähmenden Debatten über Strukturen im Schulsystem“ sollen beendet werden. Die CDU will „mit allen Beteiligten einen Thüringer Schulfrieden vereinbaren, der die Schularten im Freistaat langfristig festschreibt“. (S.30)

„Inklusion mit Augenmaß“ heißt für die CDU : „Wo es sinnvoll und möglich ist“, werde „die Inklusion von jungen Menschen mit Behinderung“ vorangetrieben. Möglich sei das, wenn „der bauliche Zustand und die Befähigung des Personals gegeben“ sind. Häufig sei „eine inklusive Beschulung geeignet“, manchmal „aber auch individuelle Unterstützung vonnöten“. Deswegen garantiert die CDU „den Erhalt und den Zugang zur Schulart Förderschule“ (S.34)

„Bedarfsgerechte Lehrerbildung“ heißt für die CDU weiterhin, „die lehramts- bzw. schulartspezifische Lehrerbildung“ beizubehalten. (S.31)

SPD

Im Gegensatz zu dem angekündigten roll back der CDU in der Schulreform will die SPD in ihrem „Regierungsprogramm 2014-2019“ an den von ihr initiierten Reformmaßnahmen festhalten. „Mit der Einführung der Thüringer Gemeinschaftsschule als gleichberechtigter Schulart“ sei „längeres gemeinsames Lernen bis mindestens Klasse 8 möglich“. Im Schuljahr 2014/15 werde es mehr als 40 Gemeinschaftsschulen geben. Ziel sei es, die Gemeinschaftsschule „flächendeckend als leistungsstarke und sozial gerechte Schulart, an der alle Schulabschlüsse erworben werden können, zu etablieren“. Der Plan für die nächsten fünf Jahre sei: „Jeder Schüler in Thüringen, der dies möchte, soll eine Gemeinschaftsschule in seiner Nähe besuchen können.“ (S.22 f.)

Die SPD mit dem von ihr geführten Kultusministeriums nimmt trotz der Kritik der GEW für sich in Anspruch, für „den gemeinsamen Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern“ „die notwendigen Ressourcen bereitgestellt und die fachliche Beratung verbessert“ zu haben. Sie will „schrittweise ein inklusives Schulsystem realisieren, das den Prinzipien der Chancengerechtigkeit und Diskriminierungsfreiheit gerecht wird“. Die SPD werde „den Entwicklungsplan Inklusion umsetzen“ und „für die Schulen die notwendigen personellen und finanziellen Ressourcen“ bereitstellen. Wie allerdings soll dieser Plan auch finanziell umgesetzt werden, wenn es abschließend heißt, dass Förderschulen „ein fester Bestandteil der Thüringer Bildungslandschaft“ bleiben sollen? (S.22 f.)

Die Linke

Die Linkspartei setzt sich „für eine konsequente Einführung der Gemeinschaftsschule“ ein. Sie ist für die Partei „eine Schule für alle Kinder, die den pädagogischen Prozess von der ersten Klasse an als Einheit versteht sowie eine inklusive Schule, die niemanden ausgrenzt, und in der alle Schülerinnen und Schüler individuell gefördert werden“. Derzeit bestimme „noch immer die soziale Herkunft über Bildungsweg und Bildungserfolg des einzelnen Kindes“. Ein gegliedertes Schulsystem könne „diesem Problem nicht wirkungsvoll begegnen“.

Die von der Partei angestrebte Gemeinschaftsschule sei „keine Schule neben anderen, sondern die eine für alle – flächendeckend“ und eine Ganztagsschule. „Mit dem Aufgehen der Grund- und Regelschule in die Thüringer Gemeinschaftsschule“ werde „das längere gemeinsame Lernen“ gesichert und „die breite Auffächerung des Schulsystems“ aufgehoben. (S.28)

Wenn allerdings nur Grund- und Regelschule in der Gemeinschaftsschule aufgehen sollen und das Gymnasium unerwähnt bleibt, stellt sich die Frage, ob das nur ein Versehen ist oder die Angst vor der Macht der Gymnasiallobby im Lande.

Mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention habe „sich Thüringen einer Aufgabe angenommen, welche nicht 'nebenbei' erledigt werden“ könne. Es bedürfe „eines zielgerichteten und nachhaltigen Vorgehens, bei dem alle Beteiligten – Schülerschaft, Pädagoginnen und Pädagogen, Eltern, Schulträger – mit auf den Weg zu nehmen sind“. „Unausgereifte Maßnahmen“ schürten „nur Vorbehalte und verstärkten Ressentiments gegenüber Inklusion und dem Gemeinsamen Unterricht“. (S.29)

Diese allgemeinen Aussagen, denen man zustimmen kann, sagen allerdings nichts darüber aus, wie das in Thüringen ausgebaute System der Förderschulen in die Regelschule überführt werden soll.

Bündnis 90 / Die Grünen

Die „überwiegende Mehrheit in Thüringen“, so die Grünen, befürwortet „die Idee des längeren gemeinsamen Lernens“. Daher plädiert die Partei dafür, „Schluss zu machen mit der viel zu frühen Trennung nach der vierten Klasse“. „Alle Schülerinnen und Schüler sollen im ganzen Land die Möglichkeit erhalten, länger gemeinsam lernen zu können und den bestmöglichen Bildungsabschluss in einer Schule für alle zu erreichen.“ „Die Vorrangigkeit des gegliederten Schulwesens in der Verfassung“ wollen die Grünen beenden. (Wahlprogramm, S.29)

Die Grünen wollen, „dass künftig alle Schulen in Thüringen guten inklusiven Unterricht anbieten“, also wohl auch das Gymnasium, und sie wollen „dafür die notwendigen sächlichen, räumlichen und personellen Voraussetzungen schaffen“. Es gehe darum, „die beste Bildung für jedes Kind an genau dem Lernort zu ermöglichen, welcher die besten Bedingungen“ für das einzelne Kind bietet. Hierbei seien „die Förderzentren und die Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen“ „kompetente Partner“. (S.30)

Was das für die zahlreichen Förderschulen in Thüringen bedeutet, bleibt in diesen allgemeinen Aussagen ungeklärt.

Für das Lehramtsstudium wollen die Grünen „perspektivisch landesweit die Struktur eines sechssemestrigen Bachelor- und eines viersemestrigen Masterstudiums umsetzen und die Praxisanteile weiter verstärken“. Alle Lehrer/innen in Thüringen sollen „perspektivisch gleich bezahlt werden“; denn es sei „nicht nachvollziehbar, warum Grundschullehrkräfte mit vergleichbaren fachlichen Qualifikationen schlechter vergütet werden als ihre Kolleginnen und Kollegen an weiterführenden Schulen“. (S.30 f.)

FDP

Die FDP will ganz im Sinne der CDU die „ideologischen Bildungsexperimente beenden“. „Wir brauchen in Thüringen keine Einheitsschule!“ (Wahlprogramm, S.5). „Das gegliederte Schulsystem Thüringens mit Grundschule, Regelschule und Gymnasium“ habe „sich bewährt“. „Der Regelfall der schulischen Bildung“ müsse „auch zukünftig, wie in der Thüringer Landesverfassung vorgesehen, in diesen Schulen stattfinden“, - ergänzt „durch andere Schulformen, wie beispielsweise Gesamtschulen und Gemeinschaftsschulen“. Die Partei will sich „für die Stärkung der Regelschule“ einsetzen, „so dass sie wieder als das Rückgrat unserer Schullandschaft dienen kann“ und sie will „die ideologisch geprägte Bevorzugung von Gemeinschaftsschulen, etwa bei der Zuweisung von Lehrerstunden gegenüber den anderen Schulformen beenden“. (S.8 f.)

Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verlangt zwar, stellt die FDP fest, die „Schaffung eines inklusiven Schulsystems“; sie verlange „aber keinesfalls, Inklusion mit der Brechstange zu betreiben oder gar das Förderschulsystem aufzugeben“. Darum setzt die FDP sich ein für „ein echtes und freies Wahlrecht der Eltern zwischen Förderschule und inklusiver oder integrativer Beschulung“. (S.11)

Die CDU in Thüringen hat sich in ihrem Wahlprogramm schulpolitisch in geradezu provokanter Deutlichkeit von ihrem Koalitionspartner der vergangenen fünf Jahre distanziert. Sie hätte es schwer gehabt, sich mit der SPD, aber auch mit den Grünen, auf einen Schulkompromiss zu einigen. Der schulpolitisch ideale Partner wäre die thüringische FDP gewesen.

Schulpolitik im Koalitionsvertrag

Der kurze Passus „Schule“ im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag liest sich wie ein Friedensangebot an die CDU, die ja in ihrem Wahlprogramm ankündigte, „mit allen Beteiligten einen Thüringer Schulfrieden vereinbaren“ zu wollen, der „die Schularten im Freistaat langfristig“ festschreiben soll (S.30). Im Koalitionsvertrag der neuen Regierung heißt es dazu: „Alle bestehenden Schularten“, also Regelschule, Gemeinschaftsschule und Gymnasium, „erhalten eine sichere Entwicklungsperspektive“. Die zwischen CDU und SPD 2009 vereinbarte Gemeinschaftsschule soll „flächendeckend als Angebot des längeren gemeinsamen Lernens ausgebaut“ werden. Sie soll, wie bisher schon, nur dort entstehen, „wo Eltern sowie Lehrerinnen und Lehrer es vor Ort wünschen“. Die neue Regierung überlässt es also der Entwicklung vor Ort, ob und wann die jetzige Dreigliedrigkeit aus Regelschule, Gemeinschaftsschule und Gymnasium wieder zu einem zweigliedrigen System zurückgeführt wird, dann aber mit einer Gemeinschaftsschule als zweiter, gleichwertiger Säule neben dem Gymnasium. Ein solches Zwei-Wege-Modell zum Abitur, das es in einer Reihe von Bundesländern bereits gibt, wäre im Übrigen genau das von der CDU 2009 formulierte Konzept einer „Oberschule“, zu der sich die Regelschule weiterentwickeln sollte, mit eigener Oberstufe oder in Kooperation mit der Oberstufe eines Beruflichen Gymnasiums. So sollte das mühsam im Koalitionsvertrag vereinbarte SPD-Konzept einer Gemeinschaftsschule konterkariert werden. Auch wenn dieser Plan offensichtlich nicht ernst gemeint war, wäre er doch eine Möglichkeit der neuen Koalition, mit der CDU über einen Schulkonsens in Thüringen zu verhandeln.

Auch beim Thema Inklusion bleibt es bei dem zwischen CDU und SPD seinerzeit vereinbarten „Entwicklungsplan Inklusion“, ohne dass das Doppelsystem aus Förderschule und allgemeiner Schule in Frage gestellt wird. Schulgesetz und Förderschulgesetz sollen „zu einem inklusiven Schulgesetz zusammen geführt werden, um die personellen, sächlichen und räumlichen Rahmenbedingungen für inklusive Schulen weiter zu verbessern und Entwicklungsperspektiven für Förderschulen zu beschreiben“. Das klingt so unkonkret wie die Ankündigung, man wolle „Schritt für Schritt“ „durch multiprofessionelle Teams“ „die Umsetzung der Inklusion in Thüringen“ unterstützen. (S.47 f.)

„Die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer“ will die Koalition „in Abstimmung mit den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz“ so weiterentwickeln, „dass diese zukünftig schulstufenbezogen erfolgt“. (S.48)

Der eher konsensorientierte Passus „Schule“ im Koalitionsvertrag verrät insgesamt am wenigsten die Handschrift der stärksten Fraktion im neuen Bündnis, der Linkspartei, die in ihrem Wahlprogramm „eine konsequente Einführung der Gemeinschaftsschule“ forderte. Sie soll „keine Schule neben anderen“ sein, sondern „eine Schule für alle Kinder, die den pädagogischen Prozess von der ersten Klasse an als Einheit versteht sowie eine inklusive Schule, die niemanden ausgrenzt und in der alle Schülerinnen und Schüler individuell gefördert werden“. (Wahlprogramm, S.28)

Ausblick

Es ist bald nach der Wende den alten Bundesländern gelungen, sicher im Einverständnis eines Teils der Bevölkerung, mit der Etablierung des Gymnasiums und damit eines hierarchisch gegliederten Schulsystems die neuen Bundesländer von der ideologisch verbrannten Schule gemeinsamen Lernens, der Polytechnischen Oberschule, abzubringen. 25 Jahre danach gibt es in allen neuen Bundesländern nach der Grundschule wieder eine Schule des gemeinsamen Lernens.

Das gilt nach den Landtagswahlen 2014 nun auch für Sachsen. Das Land hat sich, neben Bayern, mit stabilen CDU-Mehrheiten erfolgreich gegen Versuche gewehrt, von der traditionellen Dreigliedrigkeit abzuweichen. Dieses dreigliedrige System gibt es in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, wie lange auch in Bayern, allerdings erst ab Klasse 7. Es bleibt abzuwarten, ob die wieder von der SPD der CDU abgerungene, bis zum Ende der Schulpflicht integriert unterrichtende Oberschule sich besser entwickeln kann als die Gemeinschaftsschule als Schulversuch zwischen 2005 und 2009.

In Thüringen stellt sich die Frage, ob die Gemeinschaftsschule nach 2009, von der CDU mehr behindert als gefördert, unter der neuen Regierung sich zu einer gleichwertigen Schule neben dem Gymnasium entwickeln kann. Welche Perspektive bekommen dann die Regelschulen (Haupt-und Realschulen) in ihrer Konkurrenz zur Gemeinschaftsschule? Regelschulen waren ja wie auch Gymnasien unter Schwarz-Rot schon eingeladen, sich in Gemeinschaftsschulen umzuwandeln. Wie soll dieser Prozess jetzt gefördert werden?

In Brandenburg sind in der erneuerten rot-roten Koalition die Weichen klar gestellt für ein Zwei-Wege-Modell mit einer Oberschule, die nicht nur den Haupt-und Realschulabschluss vorbereitet, sondern auch den Übergang zur Oberstufe an Gesamtschulen bzw. an Oberstufenzentren.

Keines der drei Bundesländer mit hohen Anteilen an Schüler/innen mit Behinderungen stellt das Doppelsystem Förderschule und allgemeine Schule in Frage, sodass alle Bemühungen um eine inklusiv unterrichtende Schule an enge Grenzen der Finanzierbarkeit gebunden bleiben.

Was die Reform der Lehrerbildung betrifft, gibt es neben vagen Formulierungen im sächsischen Koalitionsvertrag nur in Thüringen die Absichtserklärung, den Schulartenbezug in einen Stufenbezug umzuwandeln.

Die Schule für alle ohne jede Form der Auslese, wie sie allein die Linkspartei in ihren Wahlprogrammen fordert, mag angesichts der schulpolitischen Vereinbarungen in allen drei Ländern utopisch anmuten, sie provoziert jedoch die Frage, wie Inklusion überhaupt realisiert werden soll, wenn nicht in einer solchen Schule in einem zieldifferenten Unterricht.

Gegen die Pisa-Studien mag es viele Einwände geben, unbestritten ist ihr Nachweis, dass das deutsche Schulsystem in hohem Maße soziale Auslese betreibt. Die Debatte darüber hat sehr bald auch die Einsicht befördert, dass notwendige Unterrichtsreformen nicht mehr sinnvoll gegen Strukturreformen ausgespielt werden können, dass beides eng miteinander verflochten ist. In dem Maße, wie Schulen des gemeinsamen Lernens nicht mehr systembedingt zur Auslese verpflichtet sind, wird Energie freigesetzt für den hohen Anspruch einer zieldifferenten Pädagogik, für die Förderung von Kindern und Jugendlichen nach deren je individuellen Voraussetzungen und Möglichkeiten.

Die Realisierung einer solchen Unterrichtspraxis besteht jetzt schon in Grundschulen, die befreit sind von einer verbindlichen Zuweisung von Kindern zu weiterführenden Schulformen und die sich auf Beratungsgespräche mit den Eltern konzentrieren können. Diese Befreiung wird allerdings in keinem der drei Bundesländer bislang in Aussicht gestellt. Befreit jedoch von der systembedingten Notwendigkeit der Auslese sind jetzt schon alle Schulen des gemeinsamen Lernens in den Klassen 5 bis 10: In Brandenburg die neue Oberschule mit „vertiefter Bildung“ und die Integrierte Gesamtschule, die beide alle Abschlüsse offen halten, die Gemeinschaftsschule in Thüringen und in Sachsen jede Oberschule, die von der Möglichkeit Gebrauch macht, auch von Klasse 7 bis 10 integriert zu unterrichten und nicht getrennt in abschlussbezogenen Haupt- und Realschulklassen.

Es sind diese Schulen von ihrem Anspruch her Schulen für alle, an denen auch, eine bedarfsgerechte Ausstattung vorausgesetzt, Inklusion modellhaft umgesetzt werden kann, wie das in reformorientierten Gesamtschulen längst gelebte Praxis ist, zum Teil lange bevor die Bundesrepublik Deutschland 2009 sich verpflichtet hat, die UN-Konvention für die Rechte behinderter Menschen umzusetzen.

Letzte Aktualisierung: 13.01.2015