Neue Schulstruktur in Sachsen-Anhalt
Mai 2016
Sachsen-Anhalt hat sich, wie Sachsen und Thüringen, nach der Wende für ein zweigliedriges Schulsystem entschieden. Neben dem Gymnasium gibt es eine Schule der Sekundarstufe I, die bis Ende von Klasse 6 integriert unterrichtet und danach abschlussbezogene Klassen bildet, in denen sich die Schüler/innen auf den Hauptschulabschluss oder den Mittleren Abschluss vorbereiten. Auf diese Schule, die in Sachsen-Anhalt Sekundarschule heißt, gehen alle Schüler/innen,die keine verbindliche Empfehlung der Grundschule fürs Gymnasium erhalten. Das waren nach der Wende rund zwei Drittel der Schüler/innen. Inzwischen hat sich der Anteil verringert durch Wegzug in die alten Bundesländer und einen starken Rückgang der Schülerzahlen. Das galt auch für Gymnasien. Deren frei werdende Kapazität traf sich mit einem wachsenden Interesse der Eltern an gymnasialer Bildung und dem Abitur für ihre Kinder. Das wiederum hat die Akzeptanz der Sekundarschule schwinden lassen, vor allem dort, wo Gymnasien in der Nähe sind. (Dazu: V. Merkelbach: Schulreform in Sachsen, Brandenburg und Thüringen; www.valentin-merkelbach.de/Januar 2015)
Längeres gemeinsames Lernen in der Gemeinschaftsschule
In Sachsen-Anhalt ist es nach der Landtagswahl 2011 der SPD als Juniorpartner der CDU gelungen, den Koalitionspartner zu Zugeständnissen in der Strukturfrage zu bewegen. Eine wichtige Rolle im Wahlkampf spielte ein „Bildungskonvent“, dem neben Verbänden und Institutionen alle im Landtag vertretenen Parteien angehörten. Dieser Konvent beschloss mit Zustimmung aller Parteien, auch der CDU, am 26.4.2010 u.a., „das Bildungssystem Sachsen-Anhalts auch für längeres gemeinsames Lernen weiter zu öffnen“. Im Koalitionsvertrag 2011-2016 einigten sich CDU und SPD auf wesentliche Punkte aus dem Wahlprogramm der SPD, die mit Stephan Dorgeloh auch den Kultusminister in der neuen Regierung stellt. Die Koalitionspartner beziehen sich dabei ausdrücklich auch auf die Empfehlungen des „Bildungskonvents“:
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Sie sind darin einig, die Gemeinschaftsschule auf freiwilliger Basis durch gesetzliche Festschreibung als gleichberechtigte Schulform und vollwertiges Angebot in der Schullandschaft Sachsen-Anhalts zu ermöglichen. Die Entscheidung für die Gemeinschaftsschule muss vor Ort getroffen werden. Schulträger und Gesamtkonferenz müssen jeweils zustimmen. Bestehende Regelungen zum Elternwunsch bleiben erhalten.
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Gemeinschaftsschulen entstehen durch Umwandlung bereits bestehender Schulen und führen grundsätzlich die Klassenstufen 5 bis 12, unter Berücksichtigung der Kultusministerkonferenz-Vorgaben (KMK) zur Erlangung des Abiturs. Dort kann grundsätzlich jeder allgemein bildende Abschluss erworben werden. Auf eine äußere Fachleistungsdifferenzierung wird bei Einhaltung der Voraussetzungen für eine bundesweite Anerkennung der Abschlüsse weitgehend verzichtet werden.
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Eine Pflichtberatung der Eltern durch die Grundschule auf der Grundlage der Schullaufbahnempfehlung wird künftig die Eignungsfeststellung ersetzen. Dafür erhalten die Grundschulen einen praktikablen Gesprächsfaden. Auf dieser Basis treffen die Eltern die Übertrittsentscheidung für ihre Kinder. (Koalitionsvereinbarung, S.17)
Am 15.11.2012 beschließt der Landtag ein neues Schulgesetz. Danach haben bestehende Sekundarschulen, Gymnasien und die fünf Gesamtschulen im Land die Möglichkeit, auf Antrag der Gesamtkonferenz der Schule und des Schulträgers vor Ort sich in eine Gemeinschaftsschule umzuwandeln. Auch die Schulen in Freier Trägerschaft können davon Gebrauch machen und haben darüber hinaus die Möglichkeit, eine Gemeinschaftsschule neu zu gründen. (http://bildungsklick.de /5.8.2013)
Damit Schüler/innen möglichst lange gemeinsam lernen können, wird im Unterricht der Gemeinschaftsschule bis Ende von Klasse 8 auf eine Unterscheidung nach Bildungsgängen verzichtet. Erst ab Klasse 9 beginnt der nach Schulabschlüssen differenzierte Unterricht und die Vorbereitung auf „den Hauptschulabschluss, den Realschulabschluss und das Abitur“ (http://bildungsklick.de /16.7.2013). Im Schuljahr 2013/14 sind die ersten 13 Gemeinschaftsschulen gestartet, davon 6 in Freier Trägerschaft. Im Schuljahr 2014/15 sind es insgesamt 22 Schulen.(http://bildungsklick.de /5.8.2013 und 11.12.2014)
Die SPD hat in den Koalitionsverhandlungen Abstriche machen müssen an dem, was sie vor der Wahl in Aussicht gestellt hat. So musste der SPD-Kultusminister erklären: „Wir haben verabredet, dass es keine Bevorzugung, aber auch keine Benachteiligung der neuen Schulform gibt.“ Was die vor der Wahl versprochene Ganztagsschule für Schulen des gemeinsamen Lernens betrifft, lautet jetzt der Kompromiss: Die Gemeinschaftsschule könne für den Ganztagsbetrieb zusätzliches Geld erhalten. Das aber gelte auch für alle anderen Schulen (http://bildungsklick.de /28.4.2012). Dennoch zieht der Kultusminister Ende 2014 für die Entwicklung der Gemeinschaftsschule eine positive Bilanz, weil sie einen wichtigen Beitrag leiste, um Schüler/innen durch längeres gemeinsames Lernen die Chance auf den höchstmöglichen Schulabschluss eröffne. (http://bildungsklick.de /11.12.2014)
Die Gemeinschaftsschule ist für die Kommunen mittel- und langfristig die bessere Alternative zur sehr stark berufsorientierten Sekundarschule. Sie ist, auch bei zur Zeit noch unzureichender Ausstattung, eine Schule mit demselben Bildungsanspruch wie das Gymnasium, in einem Land, das durch Abwanderung und einen Geburtenknick nach der Wende von 1990 bis 2012 von 2,8 auf 2,3 Millionen Einwohner geschrumpft ist. Die Zahl der Schulen hat sich bis 2012 fast und die der Schüler/innen um mehr als halbiert. (Erziehung und Wissenschaft, 11/2012, S.21)
Vor und nach der Landtagswahl 2016
An dem Wahlprogramm der CDU für die Landtagswahl 2016 fällt auf, dass die CDU als der größere Koalitionspartner nicht mehr zu allen Vereinbarungen von 2011 steht, die im Wesentlichen von der SPD in den Vertrag hineingekommen sind. So will die Partei die „Abschaffung der verbindlichen Schullaufbahnempfehlung“ wieder rückgängig machen, weil viele Kinder aufs Gymnasium kämen, „ohne über die notwendigen Voraussetzungen zu verfügen“ (S.17 f.) Außerdem will sie die verschiedenen nicht-gymnasialen Schulformen (Sekundarschule, Gemeinschaftsschule, Integrierte und Kooperative Gesamtschule), „die alle ihre Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe I zu den gleichen Abschlüssen“ führten, in eine „Oberschule“ zusammenführen (Wahlprogramm, S.17). Damit soll vor allem der ungeliebten Gemeinschaftsschule, aber auch den wenigen Integrierten Gesamtschulen abgesprochen werden, dass sie auch in der Sekundarstufe I den gymnasialen Bildungsgang integrieren, d.h. „grundsätzlich die Klassenstufen von 5 bis 12“ führen und auf „Fachleistungsdifferenzierung“ in der Sekundarstufe I verzichten können. Es wäre dies dann exakt die sächsische Mittelschule, die inzwischen auch in Sachsen Oberschule heißt.
Für die SPD ist in ihrem Wahlprogramm die vereinbarte Abschaffung der verbindlichen Schullaufbahnempfehlung kein Thema und sie hält auch an der Gemeinschaftsschule fest:
Wir werden die erfolgreiche Schulform Gemeinschaftsschule weiterentwickeln. Auf der gesetzlichen Ebene wollen wir künftig Kooperationen mehrerer Gemeinschaftsschulen mit dem Ziel der Bildung einer gemeinsamen Oberstufe und die Bildung von Gemeinschaftsschulen mit 13-jährigem Abiturangebot als gleichberechtigte Variante ermöglichen. (S.27)
In Sachsen-Anhalt gab es nach Einführung der Gemeinschaftsschule 2011 keine entsprechende Reform des Lehramtsstudiums, sondern ein Lehramtsstudium für bestimmte Schularten. Die Studienzeit für das Lehramt an Grundschulen beträgt sieben Semester, das an Sekundarschulen acht und an Gymnasien und Förderschulen neun Semester.
Die CDU hält weiterhin, ohne dass dies im Wahlprogramm Erwähnung findet, am Schulartenbezug der Lehrämter fest. Die SPD will – eher vorsichtig formuliert – die Lehramtsausbildung gemeinsam mit den Hochschulen fortentwickeln. Sie will „eine Lehrerausbildung, die inklusive Bildungsarbeit aufgreift, einen höheren Praxisbezug hat und stärker schulstufen- und schulformübergreifend erfolgt“ (Wahlprogramm, S.28). Die Linke fordert, dass „Inklusionspädagogik“ „fester Bestandteil aller Lehramtsstudiengänge“ ist und setzt sich „für einen Umbau des Studiums hin zu einer Ausbildung ein, die sich an Schulstufen statt an Schulformen orientiert“ (Wahlprogramm, S.26 f.) Auch die Grünen plädieren dafür, dass sich künftig Lehramtsstudiengänge „am Alter der Schülerinnen und Schüler“ orientieren und „somit an den entwicklungspsychologischen und didaktischen Unterschieden und nicht mehr an Schulformen“. Die beiden Lehrämter an Grundschulen und an der Sekundarstufe I/II sollen „mit einer gemeinsamen Studieneingangsphase“ beginnen. (Wahlprogramm, S.22)
Der Koalitionsvertrag der neuen Regierung aus CDU, SPD und den Grünen zeigt deutlich, dass die CDU ihre Ankündigungen vor der Wahl gegen SPD und Grüne nicht hat durchsetzen können. Der entscheidende Satz im Koalitionsvertrag lautet: „Es besteht Einigkeit darin, dass den Schulen in der kommenden Legislaturperiode Ruhe und Raum für die Entwicklung der schulischen Qualität gegeben und auf wesentliche Strukturveränderungen im Schulwesen verzichtet wird.“ (S.68) Es bleibt also bei der 2011 vereinbarten Abschaffung der verbindlichen Schullaufbahnempfehlung der Grundschule und es bleibt bei der Gemeinschaftsschule, die wie das Gymnasium zum Abitur führen kann. Neu ist, wohl auf Betreiben der CDU, eine Aufwertung der Sekundarschule: „Die Koalitionspartner wollen die Möglichkeit der differenzierten Vorbereitung auf den Besuch der gymnasialen Oberstufe ausbauen.“ Zur Umsetzung dieses Vorhabens können in der Sekundarschule „Gymnasiallehrkräfte amtsangemessen eingesetzt werden“. (S.75)
Berufsorientierung findet künftig nicht nur an der Sekundarschule statt, sondern wird „für alle Schulformen in der Sekundarstufe I und II schulgesetzlich verankert und konzeptionell fortentwickelt“ (S.73), ist also auch „integraler Bestandteil der Ausbildung am Gymnasium“. (S.75)
Der Kompromiss der drei Koalitionspartner für eine Reform des Lehramtsstudiums sieht so aus: Es soll „weiterhin schulformbezogen erfolgen“. Jedoch sollen, was SPD und Grüne vor der Wahl ankündigten, „die bisher angebotenen Studiengänge – Lehramt für Grundschule, Lehramt für Sekundarschule und Lehramt für Gymnasien – mittelfristig auf Studiengänge für Primarstufe“ und für „Sekundarstufe I und II“ umgestellt werden. Noch in dieser Legislaturperiode will die Koalition „schrittweise ein Primarstufenlehramt im Umfang von acht Semestern schaffen“ (S.70). Damit bleibt es immer noch bei einer Hierarchisierung der Lehrämter und einer Diskriminierung der Arbeit in der Grundschule.
Wenn Wesentliches in der Schulpolitik der neuen Regierung bei dem bleibt, was CDU und SPD 2011 vereinbart haben, so ist das wohl auch dem Wahlerfolg der AfD geschuldet, der es der fragilen Koalition (Wahl des Ministerpräsidenten) und da insbesondere der CDU verbot, den mühsam ausgehandelten Schulkompromiss von 2011 wieder in Frage zu stellen, vor allem den zentralen Punkt der Reform, die gesetzliche Verankerung der Gemeinschaftsschule als einer formal gleichwertigen Schule neben dem Gymnasium.